Hochzeit im Herrenhaus
Sarah diese Vorfreude. Von neuer Energie erfasst, widmete sie sich der Organisation der Party. Offenbar hing das mit einem Brief ihres Bruders zusammen, den der treue Wilks ihr am Tag seiner Rückkehr aus London übergeben hatte. Doch das konnte Annis nur vermuten, denn die Hausherrin erzählte ihr nichts vom Inhalt dieses Schreibens.
Annis tat ihr Bestes, um zu verhehlen, wie beklommen sie dem Ereignis entgegenblickte. Während sich die Tage dahinschleppten, fiel es ihr immer schwerer, Begeisterung zu heucheln, wenn sie um Rat gebeten wurde. Schließlich ging sie Sarah aus dem Weg, indem sie ausgedehnte Wanderungen mit Rosie unternahm.
Natürlich wusste sie, dass sie ihr Problem damit nicht löste. Am Ende der Woche fühlte sie sich gezwungen, höchst unangenehmen Tatsachen ins Auge zu blicken. Wenn sie Sarahs Gesellschaft auch mied – der Wahrheit, die ihre eigenen Gefühle betraf, konnte sie nicht länger ausweichen. Allein schon der Gedanke, der Viscount würde sich mit Caroline Fanhope verloben, erfüllte sie mit heißer Eifersucht. Wie sollte sie es ertragen, diese Party zu besuchen? Alle Anwesenden würden behaupten, Lord Greythorpe habe die ideale Braut gefunden. Und sie, Annis, musste für sich behalten, dass
sie
es war, die ihn wahrhaft liebte, mit allen Fasern ihres Seins. Nur
sie
wäre die geeignete Gefährtin, die seine Zukunft teilen dürfte.
Und was ihr als besondere Ironie erschien – Greythorpe würde sehr gut verstehen, was sie empfand. Ja, er wüsste es zu schätzen, dass sie nicht hierbleiben wollte, um ihm heuchlerisch alles Gute zu wünschen.
An diesem Vormittag suchte sie Zuflucht auf der steinernen Gartenbank und hing ihren trüben Gedanken nach.
Plötzlich hörte sie auf dem Kiesweg die Schritte, die sie so gut kannte. Der Hausherr war endlich zurückgekehrt. Gab es eine bessere Gelegenheit, ihm mitzuteilen, was sie beabsichtigte?
Langsam stand sie auf. Wie in Trance ging sie ihm entgegen und sah ihn strahlend lächeln, bevor er ihr die Arme entgegenstreckte. Instinktiv hob sie ihre Hände, die er ergriff, und dann zog er sie an sich. Warme Lippen streiften ihre Wange, dann verschlossen sie ihren Mund. Viel zu bereitwillig erwiderte sie den Kuss.
13. KAPITEL
G reythorpe war gerade noch rechtzeitig nach Hause zurückgekehrt, um den Lunch gemeinsam mit seiner Schwester und Louise einzunehmen – und vor allem mit der jungen Dame, die seine Gedanken so oft beherrschte, seit sie in sein Leben getreten war.
So schnell wie möglich vertauschte er seine staubige Reisekleidung mit sauberen Sachen. Dabei verzichtete er auf die Dienste seines Kammerdieners, dessen penible Sorge um geringfügige Mängel nur wertvolle Zeit gekostet hätte. Wieder im Erdgeschoss, beobachtete er den Butler, der gerade zwei Lakaien beauftragte, eine große Truhe aus der Halle nach oben in Miss Milbanks Zimmer zu bringen.
Ein kurzer Blick auf die Wanduhr verriet ihm, wo sich seine Schwester aufhielt, die nur selten von ihrer Routine abwich. “Warten die Damen im Salon auf den Lunch-Gong?”
“Dort finden Sie Ihre Schwester und Miss Louise, Mylord. Aber ich glaube, Miss Milbank ist noch nicht von ihrem Spaziergang zurückgekommen.” Dunster räusperte sich. “Falls sie ihre neuen Gewohnheiten nicht geändert hat, wird sie erst in der allerletzten Minute erscheinen.”
Greythorpe war auf dem Weg zur Bibliothek gewesen, um einen besonderen Gegenstand in eine Schreibtischschublade zu legen, den er vorerst verstecken wollte. Nun hielt er inne und drehte sich erstaunt zu seinem Butler um. “Stimmt irgendwas nicht, Dunster?”
“Nun, das wäre übertrieben ausgedrückt, Mylord. Aber in letzter Zeit bevorzugt Miss Milbank ihre eigene Gesellschaft. Den Großteil ihrer Zeit verbringt sie im Freien. Natürlich wird sie die Kirchturmuhr hören, die alle halbe Stunde schlägt.”
“Sehr gut, Dunster.” Deverel musterte seinen Butler anerkennend. “Offenbar haben Sie während meiner Abwesenheit alles im Auge behalten. Zögern Sie den Lunch hinaus, wenn es nötig ist – ich gehe in den Park.”
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er aus dem Haus. Natürlich verließ er sich auf seinen treuen, tüchtigen Butler, der verhindern würde, dass jemand nach dem Hausherrn suchte – obwohl er selbst nicht genau wusste, warum er in diesem Augenblick seine Privatsphäre wahren wollte. Falls Dunster die Situation richtig einschätzte, war irgendetwas nicht in Ordnung. Was keinesfalls bedeuten musste, dass es einen
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