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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss
Autoren: Jörg Steinleitner
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fieberhafte Aufregung. Vorbei an der Hotelbar, die wegen der ausschweifenden Feste, die hier gefeiert wurden, legendär war, führte der Hund sie zum Höhenweg. Das Echo des Hubschraubermotors ließ das Tal erzittern. Ein gelbes Schild am Anfang des Fußwegs erklärte, dass man von hier aus in zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten über Galaun zum Riederstein und schließlich auf die 1444   Meter hohe Baumgartenschneid gelangen konnte. Die Ermittler folgten dem Kiesweg, der zum Tal hin von Bäumen und den letzten Häusern des Orts gesäumt war, bis sie zu einem kleinen Bachlauf gelangten, der kaum Wasser führte. Hier verließ der Schäferhund den Weg und wandte sich dem Wald zu. Das Tier folgte dem Bachlauf, erklomm, gefolgt von den keuchenden Ermittlern, den steilen Berghang, um schließlich abrupt innezuhalten und seine Führerin treu und ratlos anzustarren.
    »Was ist jetzt?«, fragte Anne verunsichert, die dem schnellen Schritt der Hundeführerin und ihres Tiers – anders als Kastner und Nonnenmacher – ohne Weiteres gefolgt war.
    »Negativanzeige«, sagte die Hundeführerin. »Er hat den Trail verloren.«
    »Wie, und was bedeutet das jetzt?«, wollte Anne wissen.
    Die junge Frau streichelte den Hund und zuckte mit den Schultern. »Dass es hier nicht weitergeht. Die Anschi kann hier den Individualgeruch, den sie von den Schuhen aufgenommen hat, nicht mehr weiterverfolgen.«
    »Und wo ist die Frau Nikopolidou jetzt?«, fragte Kastner, der gerade keuchend zu ihnen gestoßen war.
    »Das weiß ich nicht.« Die Hundeführerin sah die Ermittler freundlich an.
    Auch Nonnenmacher, dem der Schweiß von der Stirn troff, war jetzt bei der Gruppe angelangt. »Und?«
    »Negativanzeige«, sagte Kastner. »Der Hund riecht nix mehr.«
    »Ja, dann muss die doch hier irgendwo sein!« Nonnenmacher schaute sich um. Es handelte sich um ein lichtes Waldstück. Hauptsächlich wuchsen hier Buchen, vereinzelt auch Fichten, und dazwischen schimmerten hier und da die weißen Stämme von Birken hindurch. Es begann zu nieseln.
    »Nicht zwingend«, reagierte die Hundeführerin auf Nonnenmachers Aussage. »Es kann natürlich sein, dass die gesuchte Person hier irgendwo ist, theoretisch könnte sie direkt unter uns vergraben sein.« Alle vier blickten auf den laub- und moosbedeckten Waldboden, aber da war nichts Auffälliges zu erkennen. »Es kann aber auch sein, dass sie noch viel weiter gelaufen ist, ihr Individualgeruch aber gerade hier verweht wurde. Aus welchen Gründen auch immer. Oder sie ist schon so lange tot, dass der Leichengeruch ihren Geruch als Lebende völlig überlagert. Dann kann die Anschi da auch nichts machen.«
    »Welche Anschi?«, raunzte Nonnenmacher.
    Die Hundeführerin tätschelte der Schäferhündin den Kopf: »Das ist die Anschi.« Alle Augen richteten sich auf das Tier, das seinen Kopf hob und schaute, als hätte es einen familiären Trauerfall zu beklagen.
    »Was empfehlen Sie in einer solchen Situation?« Anne, die noch nie an einem derartigen Sucheinsatz teilgenommen hatte, hoffte, dass die Hundeführerin noch einen Trumpf aus dem Ärmel zaubern würde.
    Doch jene sagte nur: »Wir sollten diesen Punkt hier als neues Zentrum unserer Suchaktivitäten definieren. Will heißen: Alle Suchkräfte bündeln und von hier aus in sternförmiger Formation den Wald absuchen. Vielleicht haben wir ja Glück.«
    Die Ermittler hatten kein Glück. Hanna Nikopolidou blieb verschwunden. Während Anne und ihre Kollegen Sepp Kastner und Kurt Nonnenmacher die Suche gegen neunzehn Uhr dreißig abbrachen, fahndete eine zweite Suchstaffel, welche die erste ablöste, mit anderen Hunden weiter. Die Bewohner des idyllischen Alpentals mit dem See konnten das Rotorgeräusch des Hubschraubers noch die ganze Nacht hören. Aber auch der Einsatz von Wärmebildkameras brachte keinen Erfolg. Die attraktive Münchner Bankerin Hanna Nikopolidou blieb verschwunden.

Dienstag

    Am Morgen des nächsten Tages brachte Anne ihre neunjährige Tochter Lisa im Jogginganzug in die Schule und begab sich nicht wie sonst in die in der westlichen Seegemeinde gelegene Polizeiinspektion, sondern radelte direkt zu dem Hotel, aus dem Hanna Nikopolidou verschwunden war.
    An der Rezeption ließ sich die Polizeihauptmeisterin die beliebtesten Laufstrecken erklären, die vom Hotel weg in die Bergnatur führten. Als sie vor dem Hoteleingang in Richtung Galaun loslief, bremste sie ein Ruf: »Frau Kommissarin, Frau Kommissar, wartet Sie!«
    Anne erkannte die pomadige
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