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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition)
Autoren: Ivonne Keller
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Bett verdient, den er sich selbst machte, ohne sie jemals zu fragen, ob sie vielleicht auch einen wollte. Erst nachdem er diesen getrunken hatte, setzte er sich an den gedeckten Frühstückstisch, um einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Dass er dabei gerne seine Ruhe haben wollte, war verständlich. Es war eigentlich kaum zu viel verlangt, sollte man meinen – aber die Situation so zu gestalten, dass sie Matthias’ Anerkennung fand, verlangte Anna alles ab. Es war kaum möglich. An irgendeinem Punkt des Frühstücks – meistens wenn Anna versuchte, die Brote für Schule und Kindergarten zuzubereiten – donnerte er los: »Sit down, Clara! Luna, stop humming! And Emma, eat your toast!« Immer dieses Englisch. Fast schämte sie sich für ihn, wenn er das tat. Dabei hatte sie es einmal bewundert. Mehr als einmal war es geschehen, dass sie, ohne die Brote fertig zu haben, fluchtartig mit den Mädchen das Haus verließ – nur weg von Matthias. Sie konnte auf dem Weg zum Kindergarten etwas für die Mädchen kaufen. Doch unterwegs vergaß sie das Brot, zu hektisch waren der morgendliche Berufsverkehr und die Parkplatzsituation, und wenn sie die Kinder abholte, hieß es dann von der Erzieherin: »Emma und Clara hatten heute wieder kein Frühstück dabei, Frau Ziegler. Könnten Sie bitte in Zukunft besser darauf achten?« Sie versprach es jedes Mal. Einmal sagte die Erzieherin: »Clara hat erzählt, sie konnte heute auch zu Hause nichts frühstücken.«
    »Ach?«
    »Ja. Sie hat gesagt, sie hatte keine Zeit. Und hier hatte sie auch nichts dabei.«
    »Das ist ja schade«, war alles, was Anna dazu hatte sagen können.
    »Ja. Das ist schade. Besonders für die Kinder, Frau Ziegler.«
    Seitdem schaffte sie es kaum mehr, die Kinder ohne Angst zur Mittagszeit vom Kindergarten abzuholen. Besonders, wenn es mit dem Frühstück nicht geklappt hatte. Aber ohnehin war die Abholsituation unerträglich. Alle starrten sie an. Buchstäblich. Sobald sie das Foyer betrat, verstummte jedes Gespräch. Die Kinder hörten nicht. Wie eindringlich auch immer sie Emma und Clara bat, sie möchten bitte ihre Schuhe anziehen und sich fertig machen: Sie zeigten keinerlei Reaktion. Kaum hatte sie schließlich eine der beiden am Arm zur Bank gezerrt, um ihr die Schuhe anzuziehen, balgte sich die andere mit einem anderen Kind oder schrie, sie müsse aufs Klo. Und so viele Augenpaare schauten zu. Meist kam sie ohnehin auf den allerletzten Drücker, weil sie oft zuvor eine halbe Stunde lang zu Hause am Tisch saß, unfähig sich zu rühren. Dabei wollte sie nur ein paar Momente lang die Ruhe im Haus genießen, die Ordnung – um dann den Rest des Nachmittags mit den Kindern hinter sich zu bringen. Oft genug war sie versucht, den Mädchen bereits nach Ankunft zu Hause die erste Tablette zu geben, aber meist half es schon, wenn sie selbst eine nur so für zwischendurch nahm. Wenn sie selbst ruhiger war, erschienen ihr auch die Mädchen ruhiger.
    Mit Unbehagen erinnerte sie sich an einen Abend noch vor Nils’ Geburt, als sie Silvie angerufen hatte. Sie hatte hören wollen, wie es um die geplante Schwangerschaft stand – spontan und ohne nachzudenken, hatte sie sie auf ihre Terrasse eingeladen, gedacht, sie könne sich mit ihr unterhalten wie mit einer ganz normalen Schwester. Erst nach Silvies überraschender Zusage sah sie sich im Haus um und stellte mit Schrecken fest, dass Emma und Clara wieder alles auf den Kopf gestellt hatten. Unmöglich hätte sie Silvie das Haus in diesem Zustand präsentieren können. Sie brachte die Kinder zu Bett und räumte dann in Windeseile das ganze Haus auf, alles Herumliegende stopfte sie in die Schränke, selbst die Sofakissen rückte sie noch zurecht, wienerte Spüle und Anrichte. Silvie sollte bloß nicht denken, sie hätte irgendetwas nicht im Griff. Dafür zu sorgen, dass niemand merkte, was sie durchmachte, war fast nicht zu schaffen. Eigentlich hatte sie die Tabletten nur nehmen wollen, solange die Kinder klein und unverständig waren und alles ausräumten. Nicht im Traum hätte sie gedacht, dass sie mit dem Älterwerden noch anstrengender würden! Ohne ihre Pillen ging es nicht. Und ausgerechnet an diesem Abend, als Silvie zu Besuch gekommen war, waren ihr die Tabletten ausgegangen. Dabei hätte sie schwören können, dass sie noch eine ganze Schachtel in ihrem Nachtschränkchen hatte; sie wollte niemals ohne Reserveschachtel sein, schon aus Prinzip nicht, aber an diesem Abend, kurz bevor Silvie klingelte,
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