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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition)
Autoren: Ivonne Keller
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borniert, zu glauben, mein Spiel rührte ihn. Es war ihm deutlich anzusehen, dass ihn der Liebeskummer plagte.
    An diesem Abend gewann er mein Herz; ich wusste, wie sich Verlust anfühlt.
    Er sprach mich nicht gleich an diesem Abend an; um genau zu sein, verschwand er grußlos, nachdem ich fertig war. Doch ich hatte bei ihm einen Stein im Brett, er grüßte mich nun in den Pausen. Die harte Schale hatte einen Sprung, er kam öfter zu unseren Partys, ohne jedoch nochmals einen Musikwunsch zu äußern.
    Eines Abends, als wir im Wagen meiner Mutter unterwegs zu einer Disco waren, saß er vorne neben mir. Zwar hatte ich keine Gitarre dabei, ich fuhr ja auch, aber wir sangen alle lauthals zu The beautiful Souths »Song for whoever« (Jennifer, Alison, Phillipa, Sue – Deborah, Anabel too …). Aus einer Laune heraus beugte ich mich zu ihm hinüber und fragte: »Sag mal. Wie hieß eigentlich deine Freundin in Amerika?«
    Johannes schaute stur geradeaus. Hatte er mich überhaupt gehört?
    »Sabina«, verriet er schließlich.
    Ich steuerte weiter und summte bei den anderen mit. Sabina. Ich fragte mich, wie sie aussah. Blond, wie ich? Brünett? »Das hört sich gar nicht amerikanisch an«, bemerkte ich.
    Er nickte. »Mutter ist Deutsche. Spricht auch perfekt Deutsch.« Dann schwieg er wieder. Plötzlich tippte er mir auf den Arm. Erstaunt drehte ich den Kopf zur Seite und hob fragend die Augenbrauen.
    »Wenn du magst, dann besuch mich doch mal. Ich kann dir Bilder zeigen.«
    »Gerne«, nickte ich und lächelte zaghaft.
    An diesem Abend sah ich ihn zum ersten Mal tanzen.

    Ein paar Tage später fuhr ich zu ihm nach Hause und staunte nicht schlecht. Hanau ist nicht gerade ein schönes Städtchen, und das ist noch schmeichelhaft ausgedrückt. Er jedoch wohnte in einer Villa im nobelsten Stadtteil Hanaus.
    Mit offenem Mund stieg ich aus dem Wagen. Das Haus stand zurückgesetzt auf einem leicht ansteigenden Grundstück. Vorne zur Straße hin war ein schweres gusseisernes Tor angebracht, und ich legte zaghaft den Finger auf die Klingel. Fast erwartete ich einen Butler, der mir das Tor öffnen würde – es ertönte jedoch lediglich ein Summer. Ich erinnere mich nur noch vage daran, wie Johannes mir die Tür öffnete und mich seiner Mutter vorstellte, die im Wohnzimmer Blumen goss. Ich betrachtete sie verstohlen, sie sah aus wie eine Schauspielerin, eine Berühmtheit aus einer Zeitschrift, und nicht wie eine ganz normale Mutter. Alles an ihr wirkte gepflegt und edel, genauso wie der Rest des Hauses. Ich hatte noch nie solch edle Vorhänge gesehen. Sie streckte mir die Hand entgegen. »Du bist also Silvie? Freut mich.«
    Ich schüttelte ihr die Hand und brachte gerademal ein schüchternes »Hallo« zustande, bevor Johannes mich weiter in sein Zimmer führte.
    Da es keine andere Sitzgelegenheit gab, ließ ich mich auf einer Ecke seines Bettes nieder und schaute mich um. Der Raum war nicht besonders groß, aber wie sich herausstellte, gehörten ihm auch ein angrenzendes kleines Badezimmer sowie eine Art Lernzimmer, was er natürlich nicht so nannte. Darin waren ein Schreibtisch und ein brauner Ledersessel untergebracht. Die Möbel waren alt – ich hätte sie als Antiquitäten eingestuft.
    Er folgte meinem Blick und sagte: »Das Zeug ist alles von meinem Vater. Ist gestorben, als ich klein war.«
    »Oh«, sagte ich und nickte, schob die verwaschene Bettwäsche auf seinem Bett beiseite, damit ich besser sitzen konnte, und fragte mich, was wohl mit seinem Vater passiert war.
    Offenbar spiegelten sich meine Gedanken auf meinem Gesicht wider, oder aber er war es gewohnt, diese Fragen früher oder später zu hören. Er sagte: »Er war zwanzig Jahre älter als meine Mutter. Sie waren nur fünf Jahre verheiratet. Meine Mutter machte eine große Erbschaft, und die restlichen Verwandten redeten nicht mehr mit uns.«
    Oha, dachte ich, doch ich ließ mir nichts anmerken. »Kannst du dich noch an ihn erinnern?«
    Er schüttelte den Kopf, unbeteiligt fast. »Nö. Ist halt so. Hab ich eben nur eine Mutter, ist auch okay.«
    Ich nickte und sah mich weiter um. An der dem Bett gegenüberliegenden Wand standen zwei große, ebenfalls alte Regale, auf denen alles kreuz und quer lag, darunter etliche Baseballkappen. Er hatte ja immer diese Sportklamotten an, Nike größtenteils, von Kopf bis Fuß, die obligatorische Baseballkappe fehlte nie. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn gut finden sollte, rein äußerlich.
    »Meine Mutter würde mir gerne neue
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