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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Autoren: Tobias O. Meißner
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überzeugendste Annäherung an klassischen Selbstmord.
    Ich fliege wie Tarzan in sechs oder sieben Metern Höhe durch die Luft und kralle mich rummsend an einem Ast fest. Weiter geht der Spaß. Kraxeln, hangeln, klimmziehen, balancieren. Der Fensterbesitzer hat mittlerweile die Katze erspäht und gibt mir Richtungsanweisungen, als wenn ich blind wäre oder Alzheimer hätte. Na ja, er meint es gut. Ich erreiche das Tier fast, das sich fauchend vor mir auf einen immer weiter sich verjüngenden Astausleger zurückzieht. Mir ist jetzt alles egal. Als der Ast unter uns beiden wegbricht, habe ich nur noch einen Gedanken: Wenn die Katze überlebt, werde ich vielleicht im selben Moment als Spieler inthronisiert, und wenn ich erst mal Spielerstatus habe, kann auch ein gebrochenes Genick mich nicht mehr stoppen. Beinahe euphorisch schlage ich auf den Asphalt auf.
    Problem Nummero acht:
    in the middle of the road bist du auf der Stelle tot.
    Ich erwähnte schon, dass der frühmorgendliche Berufsverkehr mittlerweile in Gang gekommen war? Gut. Ein großer orangener Müllcontainertransporter hielt nämlich genau auf das Kätzchen zu, das zwar sicher auf allen vieren gelandet war, aber im Augenblick etwas dümmlich mitten auf der Straße herumstand. Ich selbst war weniger glücklich gelandet, aber was sind schon ein paar geborstene Rippenbögen, die sich durch Herzmuskel und Lungenflügel bohren, und eine JFK-mäßige Platzwunde am Schädel, wenn das Leben eines niedlichen Schmusetiers auf dem Spiel steht? Ich warf mich quer vor der heranpreschenden Stoßstange des Bulldozers über die Fahrbahn und kaschte den Kater weg. Allein der Luftsog des vorbeidonnernden Müllabfuhrvehikels ließ uns beide schier funkensprühend über den Straßenbelag schliefern. Ein PKW auf der Fahrbahn, auf der wir jetzt lagen, machte eine menschen- und tierfreundliche Vollbremsung und wurde aus Dank dafür vom hinter ihm fahrenden Verkehrsteilnehmer so hart gerammt, dass beiden Fahrern die Nackenwirbel aus den Mündern sprühten. Der von mir vom Baum geholte Ast tat ein Übriges, auch die Gegenfahrbahn zu wilden Ausweich-Lenkmanövern mit Richtungstendenz Bürgersteig und Hausfassade zu zwingen. Hier war ein massenkarambolageartiger Auffahrunfall im Sich-Anbahnen, da wollte ich nicht unbedingt Teil von sein.
    Problem Nummero neun:
    Coming Home
    Das verstabberte Littul Kittun in beiden Armen vor die Brust gedrückt, machte ich mich in all dem Chaos unbeachtet vom Acker. Ich ließ das Kätzchen auch nicht mehr los. Nach all dem, was ich erduldet hatte, um es zu retten, wollte ich es nicht auf irgendeinen blöden Trick von NuNdUuN ankommen lassen, wie: Kaum lasse ich es los, schon kommt ein Mastino angewetzt und macht sich sein Chappi selber. Oder ein Horror-Alligator bricht aus dem Gulli. Oder ein Komet stürzt vom Himmel. Nein, ich fasst’ es sicher, ich hielt es warm, und achtete darauf, dass es mir nicht wegstarb. Dabei blutete ich wie ein Schwein und verreckte fast an meinen inneren Verletzungen, aber die Berliner auf dem morgendlichen Weg zur Maloche betrachteten mich nicht mit Anteilnahme, sondern nur mit Missbilligung. Wieder so ein Asozialer, der sich im Dschumm den Schädel aufgehauen hat und gar nicht mitkriegt, wie sehr er uns die ganzen Bürgersteige vollblutet und uns alle anwidert mit seinem Hiersein. Und wahrscheinlich ist er positiv, komm mir bloß nicht zu nahe mit deinem Blut, du Penner. Und ach ja, vielleicht: das arme Kätzchen. Bei so einem musst du leben.
    Wenn ich mich richtig erinnere, verlor ich mehrmals fast das Bewusstsein auf dem Nachhauseweg und hatte verschrobene Visionen von harten Lakritzschnecken und einem Fußballfeld voller Seerosen. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich mich daran nicht mehr richtig erinnern, und es könnte auch sein, dass ich die Lakritzschnecken und die Seerosen gerade eben geträumt habe, als ich mein nachmittägliches Heilnickerchen gemacht habe. An den damaligen Nachhauseweg habe ich eigentlich so gut wie gar keine Erinnerungen mehr. Wahrscheinlich war alles, was mich speiste und vorantrieb, mein übermenschlicher Wille zum Spiel.
    Vor meiner Wohnungstür wappnete ich mich wieder für Bosch’sche Höllenvisionen de Sade’scher Gangart, aber der alte Entertainer ließ sich nicht lumpen. Diesmal empfingen mich in meiner winzigen Einzimmerkammer wildromantische endlose Landschaften, Wasserfälle, Regenbögen, Gärten und Haine und dazwischen immer wieder alabasterschöne keusche Frauen mit prachtvollen
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