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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Anne Kathrine Green
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Mutter immer kränker geworden, und eines Tages erklärte sie mir, sie fühle, daß sie nicht ruhig sterben könne, ohne zuvor ihre beiden Töchter an ihr Herz geschlossen zu haben. Selbst der Eid, den sie geschworen hatte, sich ihrem Kinde nie wieder zu nahen, schreckte sie nicht ab, so groß war ihr Verlangen, die Tochter wiederzusehen und sich ihr als ihre Mutter zu erkennen zu geben. Wie meine Schwester die Entdeckung aufnehmen werde, im Fall man ihr bisher ihren wahren Ursprung verborgen gehalten, beunruhigte sie nicht; meinenEinwendungen gab sie kein Gehör, sondern geriet in die heftigste Gemütsbewegung, bis ich versprach, ihr zu einem Wiedersehen mit der verlorenen Tochter behilflich zu sein.«
    »Nun erfuhr ich zum erstenmal Namen und Wohnung meiner Schwester und zugleich, daß sie im Begriff stehe, sich zu verheiraten. Diesen Umstand wollte ich benutzen, um mir Eintritt in das vornehme Haus zu verschaffen; meine Mutter billigte den Plan und schickte mich sobald als möglich nach dem Nikolasplatz.«
    »Unter dem Vorwand, mich Fräulein Gretorex als Schneiderin zu empfehlen, ließ ich mich bei ihr melden; ich war dicht verschleiert, da ich fürchtete, durch meine Aehnlichkeit mit der jungen Dame Aufsehen zu erregen; ich traf sie zu Hause und wurde eingelassen.«
    »Mit unbeschreiblichen Empfindungen betrat ich ihr prächtig ausgestattetes Zimmer, aber wie ward mir erst, als ich inmitten der glanzvollen Umgebung mich selber erblickte, das heißt mein getreues Abbild, von mir nur durch die Kleider unterschieden und durch jene feinere Erziehung, die sich mir in dem ganzen Wesen meiner Schwester gleich bei dieser ersten Begegnung schmerzlich fühlbar machte. In ihr sah ich das Ideal verkörpert, das zu erreichen ich mein Leben lang vergeblich getrachtet. Die wunderbare Aehnlichkeit erregte mich tief, sie ging bis ins Kleinste, erstreckte sich sogar auf das Mienenspiel und die Bewegung der Hände. Wir waren von einer Größe und erst als ich ihr später Maß zu den Kleidern nahm, fand ich, daß sie etwas stärker in der Taille sei.«
    »Sie hielt mein Schweigen für Befangenheit und redete mich zuerst an. Der Klang ihrer Stimme überwältigte mich, mir war, als spräche ich selbst, nur aus dem Tonfall hörte ich einen Unterschied heraus.«
    »Sie haben ein Anliegen an mich, sagte sie gütig, nennen Sie es, ich bin gerade gnädig gestimmt. Es warein kühles Lächeln, das diese Worte begleitete, und unwillkürlich fragte ich mich, ob meine Mienen auch so unbeweglich bleiben würden, wenn ich mich glücklich fühlte wie sie. Ach, ich ahnte ja damals nicht, wie gleichgültig ihr alle die Freuden waren, die für mich einen so unaussprechlichen Reiz besaßen. In ihrer Uebersättigung empfand sie sie als eine ebenso schwere Last, wie ich die harte Arbeit meiner Hände.«
    »In Erwiderung auf Genofevas Anrede sprach ich zuerst von meiner Arbeit und bat sie um ihre Kundschaft. Um ihr Interesse für mich wachzurufen, kam ich dabei auf meine Lebensverhältnisse zu sprechen; ich erzählte ihr von meiner kranken Mutter, von ihrem tiefen Kummer, ihrer Sehnsucht nach der Tochter, welcher sie ihre innige Liebe nie habe offenbaren dürfen. Vergeblich hoffte ich, sie würde verstehen, was ich im Sinn habe; sie hörte meine Worte nur geduldig mit an, wie einen der vielen Berichte von Not und Unglück, die ihr wohl häufig zu Ohren kamen. Erst auf meine bedeutungsvolle Frage, ob sie nicht in ihrem Bekanntenkreise eine junge Dame wisse, auf die meine Erzählung Bezug haben könne, zeigte sie sich betroffen und forderte mich auf, den Schleier abzunehmen.«
    »Nun hielt ich den Augenblick für gekommen, mich deutlicher zu erklären. Ihre eigene Mutter ist es, von der ich spreche, rief ich, und Sie sehen Ihre Schwester hier vor sich. Verzeihung, wenn ich Sie nicht schonender darauf vorbereitete, mich überwältigt Ihr Anblick, ich vermag die Wahrheit nicht länger zurückzuhalten.«
    »Sie geriet weder in Zorn noch in Schrecken; sie sah mich nur mit festem Blicke an und fragte, wie ich diese erstaunliche Behauptung beweisen wolle.«
    »Auf die einfachste Art von der Welt, entgegnete ich und schlug den Schleier zurück.«
    »Nachdem die erste Ueberraschung verflogen, die ersten Gefühlsergüsse ausgetauscht waren, beschäftigte sich Genofeva aufs eingehendste mit dem für sie so neuen Verhältnis und nahm einen ganz unerwarteten Anteil an allen Einzelheiten unseres täglichen Lebens. Sie ward nicht müde, mich darüber auszufragen und
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