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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe
Autoren: Peter Prange
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»Abführen!«
    8
    Am Abend war Laura wieder in London. Doch nicht bei ihren Eltern, sondern bei Geraldine. Sie hatte ihrer Freundin vor der Kunstakademie aufgelauert, um sich für ein oder zwei Nächte bei ihr zu verstecken, bevor sie auf die große Reise ging.
    »Bist du wahnsinnig?«, fragte Geraldine, als sie von ihrem Plan erfuhr.
    »Ich bin noch nie so vernünftig gewesen«, erklärte Laura. »Außerdem, du hast mich doch selber zu seiner Ausstellung geschleppt. Keine Ruhe hast du gegeben, damit ich ihn kennenlerne.«
    »Als Künstle r – ja! Aber doch nicht als Mann!« Verständnislos schüttelte Geraldine den Kopf. »Und du willst wirklich mit ihm durchbrennen? Mit einem wildfremden Menschen?«
    »Wenn sie Künstler aus England jagen, habe ich hier nichts mehr verloren . – Darf ich?«
    Ohne die Erlaubnis ihrer Freundin abzuwarten, biss Laura ein Stück von der Wurst ab, die auf einem Tisch zwischen Geraldines Malutensilien lag, und spülte mit einem Schluck Wein nach, der nach Terpentin schmeckte. Ega l – Hauptsache Alkohol! Laura war nie zuvor Auto gefahren, und heute hatte sie eine Strecke von dreihundert Meilen zurückgelegt. Nachdem die Polizisten mit Harry verschwunden waren, hatte der Wirt den Schmied aus dem Dorf geholt. Der Schmied fuhr auch einen Vauxhall und hatte ihr beigebracht, wie man das Auto bediente.
    »Ich brauche deine Hilfe«, sagte sie. »Geld, Kleide r – vor allem meinen Pass. Du findest ihn in der Mittelschublade meines Schreibtischs. Am besten gehst du jetzt gleich. Um diese Zeit sind nur die Dienstboten im Haus. Meine Mutter spielt heute Bridge, der Abend ist ihr heilig, und mein Vater kommt nicht vor neun aus der Firma.«
    »Wo wollt ihr überhaupt hin?«, fragte Geraldine.
    »Ich gehe mit Harry nach Spanien.«
    »Um Gottes willen! In Spanien ist Krieg! Sämtliche Faschisten und Kommunisten Europas schlagen sich da die Köpfe ein.«
    »Hier ist auch Krieg! Mein Vater hat Harry angezeigt! Sie haben ihn abgeführt wie einen Verbrecher!«
    »Ist dir eigentlich klar, auf was du dich einlässt? Was erwartest du von diesem Mann?«
    »Ich will von ihm Sehen lernen! Sehen und Malen und Leben!«
    »Leben?« Geraldine lachte laut auf. »Er hat geschworen, keine Frau mehr anzurühren!«
    Laura blies sich eine Locke aus der Stirn. »Als Kind wollte ich Nonne oder Heilige werden. Jetzt habe ich endlich die Chance! Wer weiß, vielleicht lerne ich sogar die Kunst der Levitation!«
    »Du lernst höchstens die Kunst des Verhungerns«, erwiderte Geraldine und nahm gleichfalls einen Schluck von dem Wein. »Herrgott, Laur a – in drei Wochen ist Hofball. Du wirst dem König vorgestellt. Deine Eltern haben dafür Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt.«
    Statt einer Antwort verdrehte Laura die Augen. Ihre Eltern hatten in der Tat Himmel und Hölle in Bewegung gesetz t – doch nur, um sich ihre eigenen Träume zu erfüllen. Ihr Vater hatte in seinem Leben mehr Geld verdient, als er ausgeben konnte, und bereits ein Schloss gekauf t – mit so vielen Erkern und Türmchen und Spitzbogen, dass zwei Dutzend Angestellte nötig waren, um den scheußlichen alten Kasten instand zu halten. Lauras Mutter, die eine Vorliebe für Tüll hatte und jedem erzählte, dass sie in ihrer Jugend mit Schriftstellern verkehrt habe, war zwar nur die Tochter eines Landarztes, behauptete aber, vom österreichischen Kaiser Franz Joseph abzustammen. Um endlich die Wirklichkeit ihren Träumen anzupassen, hatte sie sich in den Kopf gesetzt, Laura mit einem Lord oder Earl zu verheiraten.
    »Die begehrtesten Junggesellen von London prügeln sich schon jetzt um deine Tanzkarten«, sagte Geraldine. »Ich wette, du wirst auf dem Ball ein Dutzend Anträge bekommen.«
    »Mit den versnobten Milchgesichtern würde ich höchstens in den Sandkasten gehen, aber nicht ins Bett. Außerdem habe ich schon einen Antrag. Das genügt.«
    Geraldine schüttelte den Kopf. »Tu nichts, was du später bereust«, sagte sie. »Harry Winter könnte dein Vater sein!«
    »Nur wenn du glaubst, was in seinem Personalausweis steht«, erwiderte Laura. »In Wirklichkeit ist er viel jünger als ich. Er ist in der Zukunft geboren!«
    »Du bist ja nicht mehr bei Trost!« In ihrer Erregung nahm Geraldine einen Lappen und fing an, ihre Pinsel zu reinigen. »Und was ist mit deiner Untersuchung?«, wollte sie wissen. »Du hast selber gesagt, wie dringend die Sache ist. Du darfst das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Sache hat möglicherweise einen sehr
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