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Himmel über Tasmanien

Himmel über Tasmanien

Titel: Himmel über Tasmanien
Autoren: T McKinley
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wie ein bockiges Kind benehmen, wusste aber aus Erfahrung, dass ihm jede Art von Kritik tagelange Depressionen einbringen würde. »Das Angebot, deine Gemälde in London auszustellen, steht, wenn du willst«, sagte sie stattdessen. »Es könnte ein hervorragender Einstand sein.«
    »Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, auszustellen. Der ganze Lärm und das Getue, du weißt, wie mich das beeinträchtigt.«
    Sie betrachtete seine Trauermiene und fasste sich in Geduld. Sie hatte Maurice in der Kunstakademie kennengelernt und sich sogleich mit ihm angefreundet, und nach dem Abschluss war es für ihn anscheinend nur logisch gewesen, in die Wohnung im ersten Stock von Clarice’ Haus in London einzuziehen und das Studio in der Mansarde mit Lulu zu teilen. Doch der Maurice, der vor ihr stand, war durch die als Kriegskünstler erlittenen Qualen psychisch zerstört, und von dem geselligen Mann von früher war nicht mehr viel übrig. »Geh doch rein und wärm dich auf«, sagte sie leise.
    »Kommst du mit?« Seine dunklen Augen flehten sie förmlich an.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich warte auf Clarice, aber diemüsste gleich hier sein.« Sie sah ihm nach, wie er zum Haus ging, und ihr fiel auf, wie mager er in den letzten Monaten geworden war. Sein Gang war der eines viel älteren Mannes. Er wollte so viel von ihr, und ihr weiches Herz wurde erfüllt von dem Mitleid, das er verachten würde – doch selbst das nutzte sich durch seine ständige Bedürftigkeit allmählich ab.
    »Gut, dass du allein bist.« Clarice trat ins Atelier und machte die Tür fest hinter sich zu. Sie zog den Pelzmantel etwas enger um ihre schlanke Gestalt und schauderte. »Maurice bedrückt mich, wenn er seine schlechten Launen hat.«
    Eine Antwort erübrigte sich, daher zeigte Lulu auf die Skulptur. »Was meinst du?«
    Clarice betrachtete sie schweigend aus jedem Blickwinkel. Dann streckte sie den Arm aus und fuhr mit den Fingern über die muskulöse Kruppe. »Perfekt«, flüsterte sie. »Du hast seine Jugend eingefangen, die Verheißung, was einmal aus ihm wird, und die Energie, die in ihm steckt.« Sie drehte sich zu Lulu herum, die Augen verdächtig hell. »Mir war nie klar, wie begabt du bist, meine Liebe. Gratuliere.«
    Lulu war aufgewühlt. Clarice derart gerührt zu sehen war mehr, als sie sich hatte erhoffen können. Sie schlang die Arme um ihre Großtante und drückte sie an sich.
    Clarice verharrte steif in der Umarmung, ihre Hände flatterten, als wüsste sie nicht so recht, wohin mit ihnen. »Es freut mich, dass du so glücklich bist, Liebes, aber pass bitte auf den Mantel auf. Das ist mein einziger Nerz, und obwohl er inzwischen ein bisschen von Motten zerfressen ist, möchte ich kein Make-up daran haben.«
    Die Abfuhr war zwar nett formuliert, doch Lulu war verletzt, trat einen Schritt zurück und strich sich die Locken hinter die Ohren, während ihr Tränen in den Augen stachen.
    Clarice’ weiche Hand tätschelte ihre Wange. »Du bist ein kluges Mädchen, und ich bin sehr stolz auf dich, Lorelei. Abernur weil ich mich aus Prinzip nicht von meinen Gefühlen übermannen lasse, heißt das noch lange nicht, dass ich dich nicht liebe.«
    Lulu nickte, ihre unvergossenen Tränen machten es ihr unmöglich zu sprechen. Natürlich wurde sie geliebt – das Zuhause, das Clarice ihr bot, das Atelier, die Sachen in ihrem Kleiderschrank und die Wohnung in London waren beredte Zeugen dafür. Dennoch sehnte sich Lulu nach mehr greifbarer Nähe. Zuweilen brauchte sie nichts weiter als eine Umarmung, einen Kuss, ein äußeres Zeichen, dass sie ihrer Tante etwas bedeutete – doch sie wusste, es war eine vergebliche Hoffnung, und sie schalt sich im Stillen, dass sie beinahe ebenso bedürftig war wie Maurice.
    Clarice bemerkte anscheinend den inneren Kampf, den Lulu mit sich austrug, und wechselte rasch das Thema. »Mir gefällt, wie er in den Wellen tanzt. Gibt es einen besonderen Grund dafür?«
    »Er heißt Ocean Child.«
    »Was für ein interessanter Name«, murmelte Clarice. »Wie bist du darauf gekommen?«
    Lulu fiel ein, dass sie Clarice noch nichts von dem Brief gesagt hatte. »Das war eigentlich ziemlich merkwürdig«, hob sie an. »Ich habe so einen komischen Brief aus Tasmanien erhalten und …«
    »Einen Brief aus Tasmanien?«, unterbrach Clarice sie schroff. »Das hast du mir nicht erzählt.«
    »Das ist schon Ewigkeiten her, und ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich es vergessen habe.«
    »Von wem war er?«
    »Joe Reilly, Galway House.
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