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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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vielen Dingen auf Nummer sicher gehen, aber wir dachten viel zu speziell ans Klettern. Eine Expedition auf den Torre verlangt universelles Denken, nicht spezielles.
    Glaube ich zumindest. Aber vielleicht lernen wir das nächste Mal wieder etwas ganz anderes.

Siebenundzwanzig
    Als ich in Österreich ankam, packte ich nicht zuerst das Gepäck aus. Ich schnappte mir meine Ski und ging auf den Berg. Die Eindrücke aus Südamerika waren so stark gewesen, so überwältigend. Jetzt wollte ich gehen, meine Berge wiedersehen, und das Pendel in meinem Inneren wieder auf den Platz einstellen, wo ich zu Hause bin.
    Ich fuhr mit der Standseilbahn auf den Hoadl in der Axamer Lizum und von dort über die Hoadl-Hinterseite in ein Nebental. Jorg hatte keine Zeit gehabt. Seit er sich an der Hand verletzt hatte, studierte er plötzlich mit sehr viel mehr Elan. Daniel war froh, wieder einmal seine Freundin zu sehen, wenn er aufwachte, und nicht mich. Also ging ich allein.
    Es war noch nicht spät, aber schon warm. Ich gab Gas, weil ich kein Problem mit den Lawinen bekommen wollte. Ich sprintete den Berg regelrecht hoch, so dass ich bei der Hälfte des Aufstiegs schon richtig fertig und ausgepowert war und mir nichts so sehr wünschte wie einen Müsliriegel. Aber ich war wieder einmal zu faul gewesen, zu Hause noch einen einzupacken. Ich war ja in Tirol und nicht in Patagonien.
    Dann kam der Durst. Auch gegen den Durst hatte ich nichts dabei. Aß ich halt Schnee.
    Bald hatte ich den größten Teil der Tour zurückgelegt. Aber der letzte Hang war so extrem steil, dass ich mit den Tourenski nicht mehr raufkam. Ich schnallte ab und band die Ski auf meinen Rucksack. Bruchharsch. Der Schnee hatte einen harten Deckel und war darunter weich. Ich sank bei jedem Schritt bis zur Hüfte ein und musste den Schnee mit den Händen wegräumen, bevor ich den nächsten Schritt machen konnte. Das war anstrengend und unangenehm, weil ich zu faul war, die Handschuhe aus dem Rucksack zu holen. Irgendwann revanchierten sich die Finger für meine Nachlässigkeit, indem ich sie nicht mehr richtig spürte. Ich war 50 Meter vor dem Gipfel, als ich mir dachte: Nein. Das macht keinen Spaß.
    Aber jetzt meldete sich mein Sturschädel: Das macht schon Spaß. Du gehst jetzt weiter.
    Gegen den Sturschädel konnte ich natürlich nichts ausrichten. Ich kämpfte mich also weiter, und bald stand ich am Gipfel, allein und etwas außer Atem.
    Keine Menschenseele. Unberührte Natur.
    Ein Blick hinter die Kulissen der Alpen.
    Ich hatte zum ersten Mal seit langer Zeit das Gefühl, wirklich für mich zu sein. Auf den acht Kilometern von der Axamer Lizum bis hierher hatte ich keine einzige Spur gesehen. Ich wusste, dass bis zum Stubaital hinüber niemand sein würde. Es war still. Jetzt, wo ich mich selbst nicht mehr gehen und schnaufen hörte, fand ich mich in einer Ruhe und Schönheit wieder, die mir fast unheimlich war und mich plötzlich bis zum Rand mit Glück ausfüllte. Normalerweise bin ich keiner, der am Gipfel sentimental wird. Aber diesmal blieb ich länger stehen als sonst.
    Endlich wieder ein Gipfel, sagte ich mir.
    Höchste Zeit, sagte der Sturschädel.
    Ich schnallte die Ski an und fuhr in langen Schwüngen hinunter, zurück in die Normalität, zurück in das Land, wo es Menschen und Müsliriegel gibt.

Achtundzwanzig
    Jetzt sind wir endgültig sicher, dass es möglich ist.
    Das Ausbouldern der letzten Seillängen ist zwar eine Mörderarbeit gewesen, aber sie hat sich gelohnt. Wir haben im extrem überhängenden, brüchigen Teil der Wand des Trentiner Monte Brento eine Route gefunden, die sich frei klettern lässt, und wir haben die Griffe, die halten, mit Magnesium markiert. Wenn das Wetter okay ist, werden wir wiederkommen und die Route an einem Tag durchklettern.
    Am Ausstieg aus der Wand treffen wir einen netten Typen, der ein paar Basejumper mit dem Auto hinaufgebracht hat. Die Wand ist ein beliebter Spot fürs Basejumping. Die Tatsache, dass die Wand etwa 200 Meter weit überhängt, macht den Absprung sicher und attraktiv: dann geht es rund 1000 Meter in die Tiefe. Perfekt. Der Typ fragt uns, ob er uns mit dem Auto mit hinunternehmen soll.
    »Klar«, sagen wir. Das erspart uns vier Stunden Fußmarsch. Gemeinsam gehen wir eine Stunde bis zu der Stelle, wo er sein Auto hat, kurz danach sind wir unten.
    Wir schauen auf die Uhr. Es ist acht Uhr abends. Eigentlich hatten wir vorgehabt, im Auto zu schlafen und am nächsten Tag in der Früh nach Hause zu fahren.
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