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Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Titel: Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Autoren: Agnes Nelle
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angefangen, seine Familie zu beobachten. Und trainiert, ihre Gesichter, ihre Gesten und ihren Tonfall exakt zu deuten.«
    Ich schüttle fassungslos den Kopf.
    »Er ist ganz furchtbar stolz auf diese spezielle Fähigkeit«, fügt sie mit bebender Stimme hinzu. »Und setzt sie hemmungslos ein, um andere Menschen zu manipulieren, würde ich sagen.«
    Ich stöhne entsetzt auf.
    Niklas hat mich manipuliert! Genau, wie Felix es gesagt hat. Und ich … ich habe es ihm auch noch leicht gemacht – indem ich mir immer wieder vorgemacht habe, ich merke es nicht.
    Gesine sieht mich besorgt an.
    »Ich weiß«, sagt sie. »Es ist ein Schock, wenn man sich eingesteht, wie leicht er einen in den Griff bekommen hat. Unter Kontrolle.«
    Ich nicke betreten.
    »Vermutlich waren Sie einfach ein ideales Opfer für ihn, Iris«, sagt sie sachlich.
    Meine Stirn kräuselt sich irritiert.
    Wie meint sie das denn?
    Will Gesine etwa andeuten, ich sei ein kleines Naivchen?
    »Auf jeden Fall war ich ein ideales Opfer.«
    Sofort setze ich mich auf.
    »Sie?«
    »Ja.« Sie lächelt verlegen. »Ich glaube, Niklas sucht sich besonders … besonders gutmütige Frauen. Frauen, deren Herz er leicht mit seinen rührseligen Geschichten erweichen kann. Und die er dann mit besagten Geschichten nach Belieben unter Druck setzt.«
    Ich schnaufe beschämt. Und verärgert.
    »Seine Mutter«, sage ich mit bebender Stimme. »Die sieht doch kerngesund aus. Aber Niklas sagt, sie sei todkrank.«
    »O ja!«, sagt Gesine. »Seine arme todkranke Mutter! Der man all ihre Gemeinheiten nachsehen muss. Gehirntumor, nicht wahr?«
    »Brustkrebs«, sage ich.
    Gesine schüttelt angewidert den Kopf.
    »Passte in meinem Fall einfach besser«, sage ich.
    Gesine seufzt laut.
    Dann nimmt sie einen Schluck Kaffee.
    »Nach zwei Monaten mit Niklas«, sagt sie und hält ihren Becher mit beiden Händen umklammert. »Nach zwei Monaten mit Niklas und seinen unzähligen Empfindlichkeiten war ich fast nur noch mit meiner Angst beschäftigt, etwas falsch zu machen – und natürlich mit meiner Angst vor seiner scheinheiligen, todkranken Mutter … und vor seiner fiesen, selbstmordgefährdeten Schwester … und vor seinem gemeinen, depressiven Vater.« Gesine seufzt noch mal. »Ich konnte mich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren. Hatte ständig Bauchschmerzen und kaum Appetit. Bin mit meinem Hund nur nach draußen gegangen, weil es sein musste.«
    »O Gott«, sage ich leise.
    Gesine atmet einmal tief durch.
    »Niklas hat mir vorgeschwärmt, was für eine wunderbare Frau ich bin«, erzählt sie gefasster. »Nur um mir im nächsten Moment ein furchtbar schlechtes Gewissen zu verpassen, weil ich irgendetwas nicht so gemacht habe, wie er es erwartet hat. Und ich habe mir das gefallen lassen. Weil Niklas zwischendurch so unglaublich charmant und aufmerksam war.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe lieber nicht darüber nachgedacht, wie merkwürdig sein wechselhaftes Verhalten ist. Und auch nicht darüber, dass Niklas kaum … dass er kaum Interesse an Zärtlichkeiten hat. Und an Sex schon gar nicht …«
    »Hm«, mache ich leise und denke an den völlig unbeholfenen Kuss, mit dem Niklas mich in der Küche des gelben Reihenhauses überrumpelt hat.
    »Und dann«, sagt Gesine und stellt ihren Kaffee auf den Glastisch. »Dann habe ich von einem auf den anderen Tag mit ihm Schluss gemacht.«
    »Wie … wie haben Sie das geschafft?«, stottere ich fasziniert.
    Gesine lächelt traurig.
    »Eine alte Freundin kam zu Besuch«, sagt sie. »Als ich sie vom Bahnhof abgeholt habe, hat sie mich zuerst nicht wiedererkannt. Ich wog nur noch knappe fünfzig Kilo. War bleich wie ein Laken. Und hatte meinen Hund nicht dabei.« Gesine macht eine kleine Pause. »Sie hat mich fest in den Arm genommen und mir auf den Kopf zugesagt, dass irgendetwas in meinem Leben schrecklich schiefläuft. Und plötzlich war ich nur noch erleichtert, dass ich mir nicht weiter etwas vormachen konnte. Ich habe mich für den Rest des Tages bei meiner Freundin ausgeheult. Und am nächsten Morgen sind wir zusammen zu den Nienabers gefahren.«
    Mich gruselt regelrecht bei der Vorstellung.
    »Ich habe geläutet«, sagt Gesine und holt tief Luft. »Niklas ist an die Tür gekommen. Ich habe ihm gesagt, dass Schluss ist …«
    Ich merke, wie mir der Atem stockt.
    »Er … er hat mich ein paar Sekunden angesehen, als wolle er … ja, tatsächlich, als wolle er meine Gedanken lesen«, sagt Gesine nachdenklich. »Dann hat er mit eisiger
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