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Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod

Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod

Titel: Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Elemente und der ungeheuren Konzentration, die es ihn kosten musste, sich auf der wie wild hin und her schwankenden Planke auf den Beinen zu halten, verstand er meine Stimme, denn der Mann mit seiner Gestalt blieb mitten im Schritt stehen und drehte sich herum. Ich glaubte den Schrecken in seinen Augen zu sehen, als er mich erkannte. Mich und den schreiend bunten Mantel, in den ich gehüllt war.
    »Du?!«, brüllte er. »Was willst du?«
    »Dich!«, schrie ich zurück. »Gib auf, Barlaam! Du hast keine Chance!«
    Barlaam lachte. »Du bist von Sinnen! Was willst du noch? Bist du gekommen, um zu sterben? Du kannst mich nicht aus diesem Körper vertreiben! Versuche es!«
    »Dann sterben wir eben gemeinsam!«, schrie ich zurück. Ein neuer Erdstoß schleuderte mich fast zu Boden. Ich taumelte, fand im letzten Moment mein Gleichgewicht und hob abermals die Arme.
    »Du wirst nicht viel Freude an deinem neuen Leben haben!«, schrie ich. »Denn es wird nicht länger dauern als das dieses Körpers!«
    Barlaam begann schrill zu lachen. »Alberner Narr!«, brüllte er. »Was willst du mir tun? Der Mantel, den du trägst, gibt dir Kraft, aber er verzehrt dich auch! In wenigen Stunden wird dieser Leib ausgebrannt sein!«
    »Und in wenigen Augenblicken der deine zerstört!«, schrie ich zurück. »Sieh nach oben!«
    Barlaam gehorchte – und schrie vor Schrecken auf.
    Die Nacht stürzte auf ihn herab.
    Das Ding fiel wie ein Stück flatternder Schwärze vom Himmel, ein wesen- und körperloses Ding, gegen das die winzige menschliche Gestalt auf der Planke unendlich verloren und hilflos wirkte. Barlaam kreischte vor Schmerzen, taumelte einen Schritt auf die NAUTILUS zu und riss die Arme über den Kopf. Ich spürte, wie er seine magischen Kräfte konzentrierte und gegen das flatternde Etwas schleuderte. Aber so mächtig er auch war, er war ein Nichts gegen Hasturs Dämon, ein Wesen, das aus den Dimensionen des Wahnsinns auferstanden war und ihn vernichten würde, jetzt, in Bruchteilen von Sekunden. Schon schloss sich die gigantische Faust aus Dunkelheit um die verkrümmte menschliche Gestalt, ballten sich Schwärze und Zorn zu einer letzten, tödlichen Umarmung; und plötzlich fühlte ich seine Angst, spürte seine Panik und verlor um ein Haar das Gleichgewicht auf der schwankenden Planke.
    Ein furchtbarer, reißender Laut erklang, dann berührte mich etwas wie eine ungeheuer große, kraftvolle Hand, riss mich von den Füßen – und setzte mich beinahe sanft im Turmluk der NAUTILUS ab.
    Vom nahe gelegenen Ufer her erscholl ein gellender Schrei.
    Das Letzte, was ich sah, war Barlaams verkrümmte Gestalt, die sich im Schlamm wälzte. Ein uralter, vom Tode gezeichneter Mann, gekleidet in einen bunten Mantel, der ihm Schutz gab und ihn verzehren würde, in wenigen Stunden.
    Dann hob sich die wogende Schwärze endgültig. Das Turmluk der NAUTILUS fiel mit einem dumpfen Krachen zu, und kräftige Hände ergriffen mich und zerrten mich die kurze Eisenleiter herab.
    Die NAUTILUS wendete und nahm mit dröhnenden Maschinen Kurs auf das offene Meer, noch ehe mich Rowlf in Nemos Salon getragen hatte.
     
    Die Stunde, von der Hastur gesprochen hatte, war vorüber, aber noch lag das Meer ruhig da; die einzige Bewegung kam von den Schrauben der NAUTILUS, die wie rasend arbeiteten, um das Schiff nach Westen zu treiben; fort, nur fort von der Insel und dem, was in wenigen Augenblicken geschehen würde.
    Es fiel mir schwer, meine Gedanken darauf zu konzentrieren.
    Nemo hatte mir alles erzählt. Alles, was geschehen würde – was bereits geschehen war –, aber die Worte kamen mir sonderbar leer vor, ohne wirkliche Bedeutung, ohne Sinn.
    Sechsunddreißigtausend Tote.
    Vielleicht war es diese Zahl, die der Vorstellung ihren Schrecken nahm, ihn auf einen bloßen, abstrakten Begriff reduzierte, an dem mein Bewusstsein nichts Schlimmes mehr zu entdecken wusste; einfach, weil sie zu groß war, zu unvorstellbar, um wirklich begriffen zu werden.
    Sechsunddreißigtausend.
    Ich versuchte, den Gedanken zu verarbeiten, aber es ging nicht. Sechsunddreißigtausend, das war die Zahl der Todesopfer, die die Explosion des Krakataus und die anschließende Springflut an den Küsten Javas und Borneos fordern würde.
    Was hatte Hastur gesagt? Wir sind Verbündete, ob es uns passt oder nicht!
    Hätte ich noch die Kraft dazu gehabt, hätte ich gelacht.
    Aber alles, woran ich denken konnte, war das bleiche, eingefallene Gesicht des Mannes, der vor mir auf der Liege lag.
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