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Hexenseelen - Roman

Hexenseelen - Roman

Titel: Hexenseelen - Roman
Autoren: Olga Krouk
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seiner erschlaffenden Hand entglitt. Er unternahm absolut nichts, um der Hexe zu trotzen. Ylva glaubte, ein leises Flüstern zu vernehmen, das sich mit dem Savannenwind erhob und wie die gleißende Sonne die Haut des Nachzehrers verbrannte. Oyas Flüstern, das Tod und Frieden versprach, die Erlösung von Schuld, Leid und verratener Liebe.
    »Adrián!«, rief Ylva erneut, und das Herz zog sich ihr zusammen. »Hör nicht auf sie! Egal, was sie dir sagt, hör nicht darauf! Du darfst nicht aufgeben. Du musst kämpfen, wie Conrad gekämpft und gewonnen hat!«
    Aber er war nicht Conrad, und niemand versuchte sie zum Schweigen zu bringen. Sie verstummte ganz von allein, weil ihre Schreie nichts brachten, außer dass sie dadurch nicht hören konnte, ob er noch atmete.
    Noch. Noch war es nicht vorbei. Auch wenn sie in der
entferntesten Ecke ihres Selbst zweifelte, ob sie ihm nicht doch lieber ein schnelles Ende wünschen sollte. Oyas Finger schienen in seinem Fleisch zu versinken, das sich schwarz färbte und in feinen Partikeln herabrieselte. Sein Gesicht zerfiel, als wäre es aus Sand geformt. Die kantigen und in manchen Momenten doch so ansehnlichen Züge wurden zu etwas Unförmigem, Grässlichem.
    Von dem Bild der Hinrichtung vollkommen gebannt, bemerkte niemand die schwarzen Rauchschwaden, die sich aus der Dunkelheit formten. Ylva spürte das Eindringen des Schattenreichs in die Welt erst, als die Pforte sich öffnete und mehrere Gestalten aus dem Nebel traten. Oya warf den Kopf herum, alarmiert und sichtlich verärgert über die Störung, gleichzeitig aber nicht minder verblüfft, als aus den dunklen Schwaden eine Ziege auf sie zuschoss und ihr die winzigen Hörner in die Beine rammte. Der Ansturm schaffte Verwirrung, weil das Tier so skurril in diesem Bunker wirkte, dass sogar Ylva sich fragte, ob sie ihren Augen trauen durfte.
    Bereits im nächsten Augenblick wurden Marias Leute angegriffen. Das, was ein Kampf sein sollte, artete in ein wildes Durcheinander aus. Marias Anhänger - hauptsächlich menschliche Jugendliche, die anscheinend noch nie Erfahrungen mit Metamorphen gemacht hatten - konnten nicht begreifen, warum eine sonst harmlose Taube, deren Offensive in der Großstadt meistens darin bestand, jemandem auf den Kopf zu kacken, plötzlich zu einer Bedrohung für sie wurde. Warum eine gewöhnliche Hauskatze ihnen an die Kehle sprang, um
ihnen den Hals mit Reißzähnen und Krallen zu zerfleischen. Warum eine Meise so präzise mit ihrem Schnabel auf die Augen zielte und diese aushackte.
    Alba, Micaela, weitere Metamorphe und - Ylvas Herz setzte für einen Schlag aus - Conrad nutzten das Durcheinander perfekt aus und drängten die Feinde zurück. Schulter an Schulter kämpften sie mit einer Verbissenheit, als käme es ihnen nicht darauf an, den Bunker lebend zu verlassen, sondern so viele Gegner wie möglich ins Jenseits mitzunehmen.
    Oya schnaubte und konzentrierte sich wieder auf ihr Opfer. Die Bewegungen der Mächtigen wurden eine Spur hektischer. Sie packte erneut zu, als aus dem Nebel ein Ausruf gellte: »Nein! Lass ihn in Ruhe!« Eine kleine Frau mit kurzem, in alle Richtungen abstehendem Haar trat heraus. Evelyn. Kali. Oder einfach eine Hexe, die vor Wut bebte und bis zur Verzweiflung bangte. »Lass ihn in Ruhe!«
    »Warum sollte ich das tun?«, erwiderte Oya und ließ Adrián auf den Boden sinken, mit seinem entstellten Gesicht, aus dem die verkohlten Knochen ragten. Ylva lauschte, ob er noch atmete. Doch im Tumult des Kampfes konnte sie nicht das Geringste vernehmen.
    Evelyns Augen funkelten, und die Augäpfel schienen sich purpurrot zu färben, als würde ein Äderchen nach dem anderen platzen. »Weil es eine Sache zwischen dir und mir ist. Du willst meine Position im Universum einnehmen, also los, mach sie mir streitig. Aber sein Tod wird dich in dieser Angelegenheit nicht weiterbringen.«

    »Nein, wird er nicht«, raunte Oya, »aber es macht Spaß, und ich hoffe sehr, dass ich mir noch heute auch Conrad vornehmen kann.«
    Bei der Nennung seines Namens setzte Ylvas Herz einen Schlag aus. Ihr Blick huschte zu den Kämpfenden. Warum bist du gekommen , fragte sie ihn stumm, warum bist du nicht in der Sicherheit der Villa geblieben? Er hatte ihre Gedanken anscheinend empfangen und fuhr herum, schien nach ihr zu suchen, immer verzweifelter, bis sein Âjnâ ihre Aura registrierte und ein Anflug von Erleichterung seine Züge glättete. Den kurzen Moment der Unachtsamkeit musste er teuer bezahlen.
    »Conrad!
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