Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenjagd in Lerchenbach

Hexenjagd in Lerchenbach

Titel: Hexenjagd in Lerchenbach
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
der
Sessel.
    Alle setzten sich. Die Stille war so
schwer wie die Luft in einem Autotunnel. Aller Augen waren auf Harry gerichtet.
    Dessen Blick huschte hin und her wie
ein gefangenes Wiesel.
    Dieser Widerling! dachte Tarzan. Und
sein größenwahnsinniger Vater! Und der heimtückische Max! Drei, vor denen man
nur ausspucken kann. Aber hier im Dorf zieht jeder — fast jeder — vor ihnen den
Hut. Der Alte ist angesehen, wird respektiert und zum Bürgermeister gewählt.
Seltsam, wie es in der Welt manchmal zugeht. Daß sich böse Typen so gut
behaupten, ist kein erhebender Gedanke, aber leider Wirklichkeit. Fragt sich
nur, wie lange sie sich behaupten, diese drei vom Jocher-Hof?
    „Harry Jocher“, sagte Kommissar Glockner,
„schildern Sie uns jetzt in allen Einzelheiten, wie Sie gestern hier
eingebrochen sind. Jeden Schritt. Jeden Griff. Wo überall Sie waren. Im übrigen
möchte ich noch darauf hinweisen: Einige der Gifte, die aus der Apotheke
gestohlen wurden, wirken wie Kontaktgifte. Das heißt: Es ist nicht
erforderlich, sie zu schlucken. Berührung genügt. Wobei es sich freilich um die
weniger gefährlichen Gifte handelt. Oral (durch den Mund) ist natürlich
auch deren Wirkung am stärksten. Also, Herr Jocher, bitte!“
    Stockend, mit gepreßter Stimme begann
der ehemalige Häftling zu reden.
    Während er umständlich beschrieb, wie
er das Fenster zertrümmert hatte und dann eingestiegen war, ließ Tarzan keinen
Blick von ihm. Er beobachtete Harry Jochers Gesicht, die zuckenden Bewegungen
seiner Hände und besonders seine Augen. Harrys Blicke irrten hierhin und
dorthin und — immer wieder — zu Helgas Schreibsekretär.
    Langsam wandte Tarzan den Kopf,
Nachdenklich musterte er das antiquarische (alt, gebraucht) Möbelstück.
    Kontaktgift? schoß es ihm durch den Kopf.
Berührung genügt. Warum glotzt der Kerl dauernd dorthin? Das ist doch kein
Zufall. Bei einem Kontaktgift genügt Berührung! Der Füllhalter? Hm. Die Bücher?
Wohl kaum. Die...
    Starr spießte sein Blick den kleinen
Stapel der Briefumschläge auf.
    Die Gummierung! Dort, wo man anleckt,
damit man die Kuverts zukleben kann!
    Wie ein glühender Strahl durchzuckte
ihn die Erkenntnis.
    „Herr Glockner!“ rief er, und das
unterbrach Harrys monotonen Bericht wie ein Peitschenschlag. „Ich glaube, ich
weiß, wo er das Gift angebracht hat!“
    Harry verstummte. Alle sahen Tarzan an.
Der war aufgesprungen. Mit zwei Schritten war er bei dem Schreibsekretär. Er
nahm die Stapel Briefumschläge und hielt sie hoch.
    „Hier! Auf der Gummierung! Das ist es!
Sobald Helga... Verzeihung! — Fräulein Götze den Klebstoff mit der Zunge
berührt hätte, wäre sie vergiftet gewesen. Geben Sie’s zu!“ Er trat vor Harry
Jocher. „Leugnen hilft sowieso nichts. Die Untersuchung im Labor bringt alles
ans Licht.“
    „Nein!“ schrie Jocher. „Nichts habe ich
auf die Umschläge getan. Nicht mal in der Hand habe ich die gehabt. Was läuft
denn hier? Vater, die wollen mich fertigmachen. Das ist bestimmt eine Falle.
Das ist Wahnsinn!“ Er begann zu kreischen. Offenbar gingen jetzt die Nerven mit
ihm durch. „Ich habe niemals Gift gehabt. Und schon gar nicht... Gib her! Ich
beweise es euch.“
    Blitzartig entriß er Tarzan die
Umschläge. Einige fielen zu Boden. Die andern hielt der Ex-Häftling keuchend in
der linken Hand. Die rechte Hand faßte einen, führte ihn zum Mund — und er leckte,
als wäre es eine Feinschmeckerei, den Klebstoff von der Umschlaglasche.
    „Hah! Schmeckt phantastisch! Und kein
bißchen Gift.“
    Rasch leckte er den Klebstoff vom
zweiten, dann vom dritten. Die übrigen warf er zu Boden.
    „Glauben Sie mir jetzt, Herr Kommissar?
Glauben Sie mir jetzt? Ich bin kein Giftmörder. Ich...“
    „Bravo, Harry!“ wurde er von seinem
Vater unterbrochen. „Jetzt müßte es ein Blinder merken, daß hier nirgendwo Gift
ist. Deshalb...“
    Der Alte sprach nicht weiter. Er — wie
jeder andere — starrte Harry an.
    Dessen fahles Gesicht wurde in diesem
Moment noch kalkiger. Seine Augen quollen hervor. Sein Mund öffnete sich weit,
als müsse er einen Tennisball aufnehmen. Gleichzeitig griff er sich mit beiden
Händen an die Kehle, dann wurde eine Hand auf den Magen gepreßt.
    „Errrghhh...“, keuchte er. „Waaas...
errrghhh... ich bin vergiftet...“

    Dann brach er zusammen, als hätte man
ihm die Beine weggerissen.
    Fassungslosigkeit malte sich auf alle
Gesichter. Mit diesem Verlauf der Situation hatte keiner gerechnet.
    Kommissar Glockner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher