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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman
Autoren: Gunter Gerlach
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Moment wußte er, daß er das nicht hätte sagen dürfen. Er hätte sie schonen müssen. Sie sah ihn zum ersten Mal an. Ihre Augen lagen tiefer, waren dunkler als sonst, kleine Falten hatten sich gebildet. Ihre Lippen waren hart und dünn. »Nein.« Sie wirkte wie das zehnjährige Mädchen auf dem Foto des Arztes.
    »Es tut mir leid, aber ...«
    »Warum?«
    »Ich habe ihn im Wald gefunden. Ich nehme an, der Förster hat ihn ...«
    Sie preßte ihre Lippen und Lider zusammen und fiel mit dem Kopf gegen seine Brust. Ein dumpfer Laut löste sich, aber sie weinte nicht. »Bring mich weg, bring mich weg von hier! Ich hasse diesen Ort. Ich hasse jeden Menschen darin. Ich will weg ... Nein!« Er wagte nicht, sie zu berühren. Sie richtete sich wieder auf. »Nein. Ich will den Förster sehen! Dieses Schwein!«
    Sie lief über die Straße und verschwand so schnell im Wald, daß er Mühe hatte zu folgen. Er ahnte, daß sie sich für den Tod des Hundes rächen wollte, und mußte sie von ihrem Vorhaben abbringen. Doch zugleich war Jakob froh, daß es etwas gab, das sie aus der Lethargie riß.
    Sie bog in den schmalen Pfad ein, der hinunter zur Herzensach und zu dem kleinen Steg führte. Er rief ihr nach, wofür um alles in der Welt sie sich noch rächen wollte. Sie stolperte, er sprang hinzu, sie hielt sich an ihm fest. »Du hast Angst?«
    »Ja, um dich.«
    »Du hast recht, laß uns umkehren. Was mache ich bloß?«
    Sie stieß ihn von sich und ging trotzdem weiter.
    Sie überquerten die Herzensach und lauschten. Es waren laute Stimmen zu hören. Nach einer kleinen Biegung sahen sie den Förster und seine Tochter. Sie standen sich auf dem Weg gegenüber. Er hatte sein Gewehr im Arm, und sie zielte mit einer Pistole auf ihn.
    Katharina und Jakob versuchten sich vorsichtig zu nähern. Claudia sah sie zuerst.
    »Er ist ein Mörder«, rief sie.
    »Alle Menschen tragen an einer Schuld«, sagte er und lächelte die Ankömmlinge an, dann sah er wieder in den Lauf der Pistole. »Ich spende Trost!«
    »Du tötest erst, um anschließend den Hinterbliebenen Trost zu spenden! Du bist ein Mörder!«
    »Ich trage nur eine Schuld ab.«
    »Was für eine Schuld?«
    »Die Menschen sind an mir schuldig geworden. Mir spendete niemand Trost.«
    »Und welche Schuld hatte die Frau in Hamburg auf sich geladen, die du, ohne sie zu kennen, erschossen hast?«
    »Sie ist nur Mittlerin für den Trost, den ich spenden kann. Niemand außer mir kann das.«
    »Das ist Mord!«
    »Nimm die Waffe weg, wer soll dich sonst trösten?«
    Claudias Hand zitterte.
    »Du bist ein gemeiner, feiger Mörder!«
    Johann Franke ließ seine Hand über den Kolben des Gewehres zum Abzug gleiten. »Laß uns gehen«, sagte er und riß sein Gewehr nach oben. Vergebens. Der Schuß traf ihn mitten in die Stirn.

57
    In Johann Frankes Arbeitszimmer fand Jakob zwei Ordner, in denen der Förster seine Morde genau dokumentiert hatte. Jede Hundeausstellung, zu der er gefahren war, hatte er genutzt, um an Ort und Stelle oder in einer nahen größeren Stadt eine Frau umzubringen. Die gesammelten Zeitungsartikel waren von ihm handschriftlich mit den darin fehlenden Details ergänzt worden.
    Es fanden sich jeweils die Adressen der Hinterbliebenen und die Kopien der Trostbriefe, die er ihnen geschickt hatte. Einer der Ordner begann mit einer Materialsammlung zum Tod seiner eigenen Frau. Jakob stellte sich die Frage, ob der Förster vielleicht auch für ihren Tod verantwortlich gewesen war, doch dann legte er alles beiseite. Es war nicht mehr wichtig.
    Er ging zurück zu den beiden Frauen. Sie hatten ihn nicht dabeihaben wollen, bei ihrem hastigen und geflüstert geführten Gespräch. Sie saßen in der Küche, hielten sich die Hände.
    Claudia wirkte jetzt geradezu heiter, bedrängte sie, den Ort zu verlassen, bevor sie die Polizei in Weinstein alarmierte.
    Jakob hielt dagegen, daß er Zeuge sei, wie ihr Vater auf sie hatte schießen wollen. Doch Claudia schüttelte energisch den Kopf, sie benötige ihn nicht. Sie sah Katharina an und wiederholte, sie benötige niemanden. Wirklich nicht.
    Sie lachte. (Der Förster lag hinter dem Haus mit einem Loch im Kopf.)
    Jakob gab ihr seine Adresse und die Anschrift seines Anwaltes. Danach verabschiedeten sie sich. Er umarmte sie. Sie küßte ihn. »Danke.«
    Katharina schlug wieder den Weg in den Wald ein (vorbei an einem Förster, tot). Jakob bewegte sich vorsichtig aufs Dorf zu. Doch als die Tischlerei in Sicht kam, blieb er stehen. Jemand machte sich an
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