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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Vorräte an Liebe und Anerkennung den Bedarf nie und nimmer decken können. Auch werde immerzu nach dem sogenannten Sinn gefragt, einer weiteren Ressource, die äußerst knapp sei.
    In all diesen Fällen müßten Fälscher und Trickbetrüger aushelfen, vom Hedgefonds-Manager bis zum Guru, damit überhaupt so etwas wie ein Markt zustande komme. Nicht einmal der Angst- und der Sicherheitsbedarf ließen sich so weit stillen, daß sich die Konsumenten zufriedengäben, obwohl Versicherungen und Panikmedien ihr möglichstes täten, um der Nachfrage Herr zu werden.

89 Z. fragte uns: »Wie kann etwas weniger als null sein? Die negativen Zahlen sollen, als sie aufkamen, den Theologen Bauchschmerzen bereitet haben, weil sie dachten, sie hätten es mit einem Blendwerk des Teufels zu tun. Man kann ihre Skrupel verstehen. Denn wie kommt es, daß etwas, das weniger als nichts ist, sich dauernd vermehren kann? Besonders den Schulden scheint das leichtzufallen. Und warum ist x 0 gleich 1?
Und was kommt dabei heraus, wenn man
1 durch null teilt? Wissen Sie, warum das verboten ist?«
    Mit solchen Fragen versuchte Z. uns zu erschrecken, aber vergebens. Wir wandten uns lachend von ihm ab.

90 Daraufhin überraschte Z. uns, indem er unverhofft die Arme ausbreitete undsprach: »Behüte euch Gott! Gott befohlen! Pfüat euch!«
    Einige, die Bairisch verstanden, dachten, er wolle uns verabschieden; aber er ließ die erhobenen Hände sinken und sagte, das seien alles Segenswünsche. Er frage sich, ob eine solche Geste nur den Gläubigen zustehe. Wer sei denn überhaupt berechtigt, einen Segen zu spenden?
    »Gewiß sind das in erster Linie die Priester, die dazu verpflichtet sind, angefangen beim Papst, der bekanntlich den ganzen Erdkreis einschließt, bis hinab zum bescheidensten Diakon. Aber heißt es nicht auch im Tischgebet: Benedicite , und kennt man nicht den väterlichen Zuspruch, wenn der Erzeuger, um sich mit seinen eigensinnigen Kindern auszusöhnen, sagt: Meinen Segen
habt ihr?
    In jedem dieser Fälle drückt sich eine wohlwollende Absicht aus. Weit weniger empfehlenswert ist das Gegenteil des Segens, der Fluch. Er ist viel anstrengender und zehrt an den Kräften aller Beteiligten: dessen, der ihn verhängt, ebenso wie an derGemütsruhe des Verfluchten. Zwar fehlt es nicht an Mitteln, den bösen Zauber zu entkräften, etwa mit einem schützenden Amulett oder mit der Anrufung einer höheren Macht, doch können sie einen ominösen Rest nie ganz aus der Welt schaffen.«
    Keine Magie helfe jedoch dem Gesegneten, sich gegen das Wohlwollen zu wehren, das ihm entgegengebracht wird. Daraus zog Z. den Schluß, das einfachste Mittel, seine Gegner matt zu setzen, sei der Segen.
    Eine alte Dame, die sich selten zu Wort meldete, riet Z. mit leiser Stimme, sich vor den Gefahren der Überheblichkeit zu hüten.

91 Beim nächsten Mal vermutete Z., mit der Sphärenmusik könne es nicht weit her sein. Auch die kräftigsten Raketen könnten nichts an der köstlichen Stille ändern, die im Weltraum herrsche, weil es dem Schall in diesen fernen Zonen an einem tragfähigen Medium fehle. Dort seien also keine Lärmbelästigungen zu befürchten. Auf der Erde hingegen müßten wir uns fortwährend die Ohren zuhalten; denn der Luft, von der wirleben, sei es egal, ob sie eine Sonate von Haydn, einen Schmerzensschrei oder die Frequenzen eines Preßlufthammers befördere.

92 Glücklicherweise befand sich ein Zoologe unter uns. Er versicherte, daß es kein Lebewesen gebe, das alles höre. Würmer und Schnecken, sagte er, seien auf die Luft nicht angewiesen, um zu vernehmen, was der Fall sei; sie bräuchten dazu keine Ohren; ihnen sei schon mit Vibrationen gedient. Der Frosch habe es besonders gut; denn er nehme nur die Laute anderer Frösche wahr und sei gegen alle anderen Geräusche taub. Zwar gelten Mäuse, Wale und Delphine als Experten für hohe Frequenzen, doch mit den Fledermäusen könne es kein anderes Tier aufnehmen. Die brächten es mit dem Ultraschall auf bis zu 200   000 Hertz, während umgekehrt der Elefant hohe Töne ignoriere und die Taube mit 0,1 Hertz auskomme, sich also an ihrem eigenen Gurren kaum störe.
    Z. pries die Erläuterungen des Experten. Er schließe aus ihnen, daß die Spekulationender Kosmologen über das Pluriversum redundant seien, da offenbar schon irdische Ameisen, Krustentiere und Menschen in durchaus verschiedenen Welten lebten.

93 »Glauben Sie«, sagte Z., »ich hätte nicht bemerkt, daß sich hie und da einer unter
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