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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition)
Autoren: Björn Springorum
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Eigentlich erstaunlich, dass er seit über hundert Jahren ausgerechnet der Cola die Treue hielt und selten ohne eine Dose der schwarzen Brause anzutreffen war. Seine Vorliebe ging sogar so weit, dass er eine Zeit lang leere Coladosen als Markenzeichen neben seinen Opfern hinterlassen hatte. Balthasars Einwände, dass dies wohl kaum dieselbe Wirkung habe wie Jack the Rippers Traubenstängel in den Händen toter Prostituierter, hatte er trotzig überhört. Man musste schließlich mit der Zeit gehen.
    »Warum dieses Treffen?« Auch jetzt stand ein großes, mit Eiswürfeln gefülltes Colaglas vor dem Mann mit der sorgfältig zerschlissenen Lederjacke und den strähnigen blonden Haaren. Die markante Nase und tiefe Augenringe verliehen ihm Ähnlichkeit mit einem sehr müden Geier. Gesagt hatte ihm das noch niemand. Zumindest niemand, der noch lebte.
    Balthasar lehnte sich zurück und setzte ein Gesicht auf, das sein Gegenüber auf den Tod nicht ausstehen konnte. Es war sein berüchtigtes »Ich weiß was, das du nicht weißt«-Gesicht.
    »Also schön, was ist es? Tun wir nach all den Jahren doch einfach mal so, als hätten wir deine nervtötende Geheimniskrämerei schon hinter uns gebracht.«
    »Du tust mir unrecht, Aaron, aber meinetwegen. Es ist kalt geworden, findest du nicht?«
    »Und? Die Sommer sind schon lange nicht mehr das, was sie vor ein paar Jahrhunderten waren.«
    »Gewiss, gewiss. Und dennoch …« Er nahm einen weiteren Schluck und ließ die Worte einige Zeit in der Luft hängen. »Bei einem Spaziergang im Hyde Park, es muss wohl zwei Winter her sein, habe ich es zum ersten Mal bemerkt. Etwas … lag in der Luft. Wie die Stimmung vor einem Gewitter. Daraufhin habe ich Nachforschungen angestellt. Es war alles andere als leicht, im Verborgenen zu agieren. Ich war beileibe nicht der Einzige, der etwas gespürt hatte. Doch jetzt habe ich Gewissheit. Ich habe Nachricht aus dem Süden erhalten. Eine verlässliche Quelle, hat mich noch nie enttäuscht. Es gibt keinen Zweifel: Sie ist zurück, Aaron. Schwer zu glauben, dass hundertachtzig Jahre derart schnell verfliegen konnten, nicht wahr? Waren wir nicht erst kürzlich auf der ersten Weltausstellung zu Gast? Es kommt mir vor, als wäre es letzte Woche gewesen, dass wir diese spanischen Urlauberinnen in mein Quartier gelockt haben …«
    Doch Aaron hatte die letzten Sätze gar nicht mehr wahrgenommen.
    »Es ist also so weit«, wisperte er trocken. »Wer weiß noch davon?«
    »Niemand, und das soll selbstverständlich auch so bleiben. Man schöpft Verdacht, das ist alles.«
    »Auf was warten wir dann noch? Solltest du recht behalten …«
    »… ich habe recht«, sagte Balthasar leise, aber gefährlich. Diese Stimme war es nicht gewohnt, auf Widerspruch zu stoßen. »Wir warten, bis sie sich selbst zu erkennen gibt. Davor ist sie wertlos für uns.«
    »Alles, was ich brauche, ist eine Fährte!«
    »Gewiss.« Balthasar tätschelte Aaron den Arm, als würde er einen Hund belohnen.
    Wenig später verließen zwei Herren unbestimmbaren Alters den John Barleycorn Pub und gingen ohne eine Verabschiedung getrennter Wege. Sie würden ihn nie wieder betreten.
    Wind kam auf. Er trug den Duft des Herbstes mit sich.

    Es kostete Sophie einige Überzeugungskraft, Emily in den nächsten Tagen zu überreden, in die Schule zu gehen. Am Ende schaffte sie es nur, weil sie ihr versprochen hatte, ihren Eltern nichts von dem Vorfall im Geschichtsunterricht zu erzählen.
    Doch in der Schule war der Auftritt der neuen Schülerin eines jener Gesprächsthemen, die sich mit gespenstischer Schnelligkeit verbreiten.
    »Es war mir deutlich lieber, als mich alle wegen meines Aussehens angestarrt haben. Obwohl ich selbst das schon höchst seltsam finde.« Zerknirscht saß sie neben Sophie auf einer Mauer auf dem verlassenen Schulhof. Es war Mittwochnachmittag, und sie warteten auf Carter, der sich mal wieder verspätete.
    »Hm«, brummte Sophie geistesabwesend. Mittlerweile hatte sie genug von dieser Sache, weshalb sie Emilys üppig belegtem Sandwich deutlich mehr Aufmerksamkeit widmete. »Und du hast wirklich keinen Hunger? Du hast kaum was gegessen heute …«
    Emily schüttelte den Kopf. Sie sah eine Weile zu, wie der Wind die vergilbenden Blätter über den Schulhof fegte.
    »Wenigstens wird es endlich Herbst. Dann habe ich wieder eine Ausrede, um mich mit einem Buch in mein Zimmer zurückzuziehen.«
    Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie sich in ein Buch vertieft hatte. Vielleicht
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