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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition)
Autoren: Björn Springorum
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… ich habe Blut getrunken. Ich bin eine Gejagte. Und doch will ich eine Jägerin werden. Ich weiß jetzt, was meine Bestimmung ist. Ich werde mich gegen die Grausamkeit und die Macht der Erzengel stellen, damit sie nicht bis in alle Ewigkeit die Welt regieren. Sie haben genug Tod und Verderben über diese Welt gebracht. Ich muss die verlorenen Seelen einen, um den Wandel der Zeiten herbeizuführen. Vielleicht kann ich so auch Annes Seele retten. Das ist mein Fluch und zugleich mein Segen.« Sie fuhr sich erneut mit der Zunge über die spitzen Zähne. Es schüttelte sie. »Deshalb werde ich von nun an eine Ausgestoßene sein. Jägerin und Gejagte. Und so gern ich dich an meiner Seite wüsste, weiß ich einfach nicht, ob ich dir das antun kann.«
    Jake krempelte einen Ärmel hoch. »Dann liegt es jetzt an dir, zu entscheiden, ob wir für immer zusammen sein werden oder heute das letzte Mal gemeinsam einen Sonnenaufgang erleben können.«
    Entsetzt blickte Emily auf seinen nackten Arm. Ihre Augen weigerten sich, das, was sie sahen, an ihr Gehirn weiterzugeben.
    Das konnte nicht sein!
    Und doch sah sie überdeutlich zwei Bisswunden in seinem Oberarm. Rund um die Einstiche hatte sich ein schwarzes Adergeflecht gebildet, das sich rasch ausbreitete. Sie wusste, dass es ein Sinnbild des Todes war, das unaufhörlich wachsen würde. Und es hatte bereits begonnen.
    »Oh nein!«, ächzte sie. »Oh nein, oh nein, oh nein!«
    »Sieh mich an.« Sanft drehte er ihr Gesicht zu sich. Er beugte sich vor und küsste eine Träne weg. »Ich verlange nichts von dir. Ich weiß, dass du mir das, was auf mich wartet, ersparen willst. Aber es ist sowieso zu spät. Ich werde auf jeden Fall zu einem Untoten. Das hast du mir selbst so erklärt. Du kannst mich zu einem Vampir machen und mich so am Leben erhalten. Dann könnten wir für immer zusammenbleiben.«
    »Jake«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ich kann das nicht! Ich kann dich nicht zu etwas machen, das ich zutiefst verabscheue.«
    »Das verstehe ich«, flüsterte er. »Es ist deine Entscheidung.« Er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. »Aber gemeinsam sind wir stärker. Ich will an deiner Seite kämpfen!«
    Wieso machte man es ihr nur so schwer? Wieso gestand man ihr nicht diesen einen Triumph zu?
    Es kostete Jake jetzt merklich Anstrengung, zu reden. »Mein Großvater … er hatte ein geheimes Fach, in dem ich jede Menge … Bargeld gefunden habe. Neben dem Geld lag ein Zettel, den er für den Fall seines Todes … dort deponiert hatte. Darauf stand, dass ich zu meinen Eltern nach Amerika … fliehen soll. Und, dass sie Bescheid wüssten. Was immer das auch heißen mag. Ich habe … das Geld bei mir. Es … es reicht für zwei Flugtickets.« Wieder umspielte das feine Lächeln seine Lippen. »Mit etwas Glück sogar für die erste Klasse.«
    Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Nein, das kann alles nicht wahr sein! Du bist gar nicht hier, du bist nicht hier!«
    Ein neuerlicher Hustenanfall zwang ihn in die Knie. Keuchend lehnte er sich an die bemooste Wand. »Was immer … du auch tust, Emily. Ich werde … dich immer lieben.« Dann schloss er die Augen.
    »Jake!«, brüllte sie panisch und schüttelte ihn. Doch er regte sich nicht. »Jake!«
    Urplötzlich wehte ein kaum wahrnehmbares Raunen durch die Kanalisation. Es brachte den würzigen Geruch des Herbstes mit sich und verdrängte den Gestank des Flusses für einen Augenblick.
    Sie atmete tief durch und blinzelte die Tränen weg. Diese Geschichte war noch nicht zu Ende. Es musste einen Weg geben, sich von diesem Fluch zu lösen. Sie würde tun, was nötig war, um diesen Weg zu finden. Um die Welt zu verändern. Und dafür brauchte sie Jake.
    Ihr Blick glitt die Leiter entlang nach oben. Durch den Kanaldeckel drang der Schein der Dämmerung. Wenn, dann würde sie Jake schnell hier rausbringen müssen. Schon bald würde er kein Tageslicht mehr ertragen können.
    Sie beugte sich über ihn. Sie hatte keine Ahnung, ob es funktionieren würde, was es mit ihm anstellte oder ob er es überhaupt überleben würde. Würde er sie noch lieben, wenn sie ihn zum Vampir machte? Konnte er dann überhaupt noch lieben?
    Sie musste es versuchen. Ohne einen weiteren Gedanken biss sie sich so fest sie konnte in Jakes Unterarm und begann zu trinken. Der bittere Geschmack von Eisen füllte ihren Mund, und beinahe ließ sie sich von dem Rausch hinreißen. Sie spürte, wie das Blut aus ihm herausströmte, und es kostete sie alle Kraft,
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