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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Hermann Hesse
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an der Schifflände die Pappeln stark und zart, der feuchte Wind umarmt mich schnell, springt auf den See und fährt stöhnend über das bewegte Wasser hin. Dann tut mir die Seele im Leibe weh, daß ich kein Einsamer und Wanderer mehr bin, und ich gäbe mein bißchen Haus und Glück gern für einen alten Hut und Ranzen, um noch einmal die Welt zu grüßen und mein Heimweh über Wasser und Land zu tragen.
    Und gestern, ich war allein noch wach im Haus, schlug mir der Wind so dringlich ans Fenster und über dem Kapellenturm flogen die Wolken so eilig und begierig durch die Nacht, daß ich nicht länger sitzen bleiben konnte. So nahm ich leise Mantel, Hut und Stock und ging hinaus. Da schrie der Sturm in der Höhe, unten schlug im Dunkeln der unruhige See, im ganzen Dorfe war kein Fenster mehr hell, und nur am Ufer schritt unwillig der Grenzwächter auf und ab, tief in den dicken Mantel gehüllt und mit aufgestelltem Kragen. Und als ich auf die erste Höhe kam, da lag weithin schwarzes Land und Wasser, See, dahinter der bleich scheinende Himmel gespannt, an dem die schweren Wolken stürmten. Die langen Bergzüge bückten sich im Schlaf und streckten da und dort fahleTraumhörner gegen den Himmel. Das ging wie eine breite heftige Woge über mein Herz, als bräche meine ganze Jünglingszeit mit aller Freiheit und Macht auf mich herein, höbe mich vom Boden und risse mich in unerhörte Weiten mit. O, du Wald, du stiller schwarzer Wald, und du Seeweite und du schlafende Insel im Wasser! O, ihr fernen Berge! Unvermerkt fiel ich in meinen Wanderschritt, als ob es in alle Fernen ginge, und die von der Nacht verhüllte Gegend lag als ein Märchenland verschwiegen um mich her. Bis nach einer Stunde der erste Kreuzweg kam. An diesem stand ich lachend still und dachte an mein Weib und an mein Haus, auch fiel mir ein, daß ich beim stürmischen Fortgehen die Lampe nicht gelöscht hatte. Die schien nun weiter, solange das Öl es vermochte, über die gelben Seiten eines alten Büchleins, über Tisch und Wände und durch die Scheiben ins schlafende Dorf hinaus.
    Nun wußte ich wohl, daß ich morgen zurück sein müsse, und mein heißes Wandergefühl fing langsam an, geringere Wellen zu schlagen. Aber die schöne Nacht war mein und ich wollte sie nicht von mir weisen, wie sie wartend vor mir lag. Und wie ich erwägend am Kreuzweg zögerte, begann ein starkes Heimweh mich zu ziehen. Hinter Wald und weiten Hügelwiesen wußte ich eine alte Stadt mit runden Türmen liegen, nach der es mich schon langgelüstete. Ich hatte aber in all der Zeit noch nie gewagt, einmal hinüber zu wandern, denn es lag dort ein Stück schöner Jugend von mir und lauerte auf meine Wiederkunft, um mich mit Heimweh zu überfallen. Jetzt in der Nacht schien mir die Stunde gut. Ich ging den schönen, bergigen Weg durch Wald und Matten, ich saß eine Weile und rastete vor dem Tor der Stadt, hörte dem Brunnen zu, nahm einen kühlen Schluck von ihm und lief wieder weg und heim, noch ehe die Morgenhelle kam und die wohlbekannten Häuser aus der schönen schlummernden Dämmerung weckte. Da war mir fast, als hätte ich eine Tat getan.
    Auf dem Heimweg war mir sonderbar zumut, indem ich an vergangene Jahre dachte und an die alte Stadt mit den runden Türmen und an das, was ich dort einst erlebt hatte. Nichts zum Erzählen. Eine Liebesgeschichte, einfach und schön, aber nicht frei von Schuld, und ihr Schatten hat mir ganze Jahre verdeckt. Nun schritt ich träumend durch die schwarze Nachtwelt, meinem Dorf entgegen, hoch am Hügel hin über dem finsteren See. Und allmählich liefen meine halbwachen Gedanken weiter und ich dachte an alle die Frauenbilder, vor denen ich in Jünglingsjahren gekniet war, bereit, ihnen mein Liebstes und Bestes zu schenken, nur um näher ans Innere des Lebens zu kommen, nur um eine Antwort zu finden auf die dunkel in mir fragenden Stimmen. Und wie haben alle diese Versuche, diese ersten Flüge ins Land der Liebe, geendet! Alle ohne die rechte Antwort, alle unfroh und unerlöst, und die meisten nicht ohne Reue und Schuldgefühl!



Und von fast allen meinen Freunden wußte ich dasselbe und sah es an Fremden täglich. Es stirbt ja kaum einer daran. Wir werden älter, werden Männer, tun den Kranz aus den Haaren und finden unsere Ruhe. Aber wie ist es mit jenen Frauen, mit den Mädchen, um die wir einst so sehnsüchtige Irrgänge taten, die uns den ersten Morgenglanz der Liebe schenkten? Was fühlen sie, wenn wir von ihnen gehen? Und was fühlen
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