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HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa
Autoren: Unbekannt
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absolute Zugriff aufs Leben. Ich sehe nichts anderes mehr als dunkelblaue Wellen, Seetang und ockerfarbene Pottwale mit weit geöffneten Fressen. Immer, wenn ich kurz davor bin, in den Zahnzwischenraum eines dieser Pottwale hineinzugeraten und deswegen plötzlich der festen Überzeugung, in wenigen Sekunden tot zu sein, wird mir kurzzeitig schwarz vor Augen. Ich weiß nicht, ob ich liege oder stehe oder noch immer auf dem Schoß dieses langhaarigen runtergewirtschafteten Penners sitze, der mit freiem Oberkörper in irgendeiner zum Ficken gedachten Sofanische eingeschlafen ist. Zuallererst sehe ich eine bedrohliche Vielzahl schwarzer Silhouetten. Danach kommt mir eine übergewichtige Frau in Latexganzkörperanzug entgegen, die drei angeleinte, halbwegs geschlechtslose Personen durch die Räumlichkeiten spazieren führt und mir eine Serviette reichen will.
    Ich frage: »Können Sie mir eventuell kurz die Boa constrictor rüberreichen?« Mein Blickfeld ist von einer offenen Entzündung im Rachen des Fisches ausgefüllt, durch dessen Mundhöhle ich schwimme. Ich schließe die Augen, öffne sie wieder und befinde mich mit Ophelia und zwei Fremden in einer quadratischen Klokabine. Sobald ich mir meines Körpers bewusst werde und darüber, dass ich eigenständig denken kann, sind mein Kurz- und mein Langzeitgedächtnis plötzlich nicht mehr aufeinander abgestimmt. Die Vergangenheit und die Gegenwart zerfließen, der Raubfischrachen und mein hysterisches Umfeld überblenden sich gegenseitig, aus meinem Zeitempfinden wird ein großes Feld aufeinandergestapelter Erinnerungen.
    Es ist ein Nahtoderlebnis, ich werde panisch, ich rede mir ein, dass dieser Zustand nicht mit meinem kurz bevorstehenden Tod, sondern mit neurochemischen Vorgängen in den Temporallappen meines Gehirns zusammenhängt. Ophelia steht auf dem Klodeckel, um drei Lines Speed auf der Trennwand zur Nachbartoilette zurechtzumachen. Währenddessen schmeißt sie lachend zuerst ihren Gürtel und dann einen ihrer Schuhe über die Kabinentür. Ich kann die aus dem besten Soundsystem Europas hervorgehenden Bässe nicht mehr von den Schlägen der Draußenstehenden gegen die Tür unterscheiden, mir bleibt nichts anderes übrig, als auf engstem Raum in meinem gewohnt abstrusen Tanzstil abzuspasten und jede Sekunde unter qualvollen Umständen erneut herauszufinden, auf welchen Beat es sich unmotiviert seine linke Schulter auszukugeln gilt. Ich habe eine eigene Hand, eigene Beine und einen eigenen Gleichgewichtssinn. Ich kämpfe mich durch Wände aus Stahl und die überdimensionale Neutralität einer Situation, die objektiv als »unangemessen« einzuordnen ist. Wie gesagt: Stahl. Wodkapfützen, Körperteile, Münder, Haare, Schweiß, Leberflecken in Achselhöhlen, auf den Oberarm einer PR-Volontärin tätowierte deutsche Jagdterrier, rohes Fleisch und Stroboskoplicht.
    »Ey, scheiße, guck dir mal deine Pupillen an bitte!«
    »Ja, danke für das Gespräch und so.«
    Der Ecstasymensch von vorhin steckt mittlerweile in einem blauen Nickipullover und presst mich kaugummikauend wie in so einem Rockballaden-Musikclip gegen die Wand.
    Ich schreie: »Ey, Tyyhyyp, geh mal weg, bitte!« »Darf ich die mal fotographieren?« »Verpissen Sie sich!«
    »Lass mich mal bitte kurz deine Pupillen fotographieren!« »Nein, weg, weg!«
    »Kennst du nicht diesen einen Film da, Romance? Warum können wir uns nur lieben, wenn ein Tisch zwischen uns steht?«
    »Ich kenne Der letzte Tango in Paris, wo dieses Girl plötzlich Marlon Brando erschießt, und er klebt dann so, kurz bevor er stirbt mit diesem Loch im Bauch, sein Kaugummi unter das Balkongeländer. Yes, yes, yes.«
    »How do you like the music?«
    »I love this club but I don't love Berlin!«
    »Right answer!«
    »Sprichst du immer Englisch, wenn du dich schämst?« »Ja, Mann.«
    Er hat kurze Wimpern und starrt mir triumphierend ins Gesicht. Seine Augen glänzen, als würden sie in ein Gewässer reingucken, in dem sich alle verfügbaren Lichtquellen Berlins gleichzeitig spiegeln. Es macht sich da etwas breit, was nur er sehen kann, eine andere Welt. Mit einer die Umstände in Grund und Boden stampfenden Ernsthaftigkeit versuche ich, meinen Körper davon abzuhalten, in den Zahnzwischenraum eines mir gegenüberstehenden Menschen zu geraten. Zweitausendfünfhundert Personen haben in der heutigen Nacht Pepp zum Wachbleiben und Narkotika zum Fliegen verwendet.
    Um 8 Uhr 26 ist Ophelia gleichzeitig zu Tode gelangweilt und froh darüber, dass
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