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Held von Garathorm

Held von Garathorm

Titel: Held von Garathorm
Autoren: Michael Moorcock
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hatte irgendwie das Gefühl, daß seiner Situation mehr anhaftete, als die normalen, sichtbaren Tatsachen schließen ließen. Er war vom Runenstab und seinen Dienern genauso manipuliert worden, wie er jetzt seine Zinnsoldaten bewegte. Zog der Runenstab vielleicht wieder an den Fäden, die ihn zu seiner Marionette machten? Hatte er sich deshalb seinen Modellfiguren zugewandt, um sich selbst etwas vorzumachen - um zu glauben, daß er zumindest sie manipulieren konnte, wenn doch in Wirklichkeit er manipuliert wurde.
    Er schob diesen Gedanken zur Seite. Er mußte sich seinen ursprünglichen Überlegungen widmen.
    Und so vermied er, den Tatsachen ins Auge zu sehen.
    Indem er vortäuschte, die Wahrheit zu suchen, gelang es ihm, der Wirklichkeit zu entkommen. Denn die Realität seiner Lage wäre möglicherweise unerträglich für ihn gewesen.

3.
    EINE LADY IN EISERNER RÜSTUNG
    Ein Monat verging.
    Zwanzig Möglichkeiten probierte Hawkmoon inzwischen mit seinen Modellen aus. Doch sie brachten ihm Yisselda nicht näher, nicht einmal in seinen Träumen.
    Unrasiert, mit roten Augen, das Gesicht voll Pickel, die Haut schuppig, schwach vor unterbliebener Nahrungsaufnahme, und schlaff von Mangel an körperlicher Tätigkeit, erinnerte nichts mehr an den Helden, weder geistig, charakterlich, der Dorian Hawkmoon einst gewesen. Er sah dreißig Jahre älter aus, als er tatsächlich war. Seine Kleidung -schmutzig, zerrissen, stinkend - schien die eines Bettlers zu sein. Sein ungewaschenes Haar hing in fetten Strähnen in sein Gesicht. Sein Bart wies häßliche Flecken und Spuren undefinierbarer Substanzen auf. Er hatte sich angewöhnt, mit sich zu reden, sich häufig zu räuspern und zu hüsteln. Seine Diener gingen ihm aus dem Weg, wo sie konnten. Er hatte selten Grund, sie zu rufen, und so fiel ihm ihre Abwesenheit auch gar nicht auf.
    Bis zur Unkenntlichkeit hatte er sich verändert, dieser Mann, der der Held von Köln, der Diener des Runenstabs, der ruhmreiche Krieger gewesen war, der die Unterdrückten zum Sieg über das Dunkle Imperium geführt hatte.
    Sein Leben schwand von ihm, auch wenn er selbst es nicht bemerkte.
    In seiner Besessenheit mit alternativen Schicksalen war er nahe daran, sein eigenes zu einem Ende zu bringen, sich selbst zu vernichten.
    Und seine Träume wandelten sich. Weil sie sich veränderten, schlief er noch seltener als zuvor. In seinen Träumen hatte er viele Namen. Einer davon war John Daker, aber viel öfter wurden ihm die anderen bewußt - Erekose und Urlik. Nur der vierte Name entglitt ihm, obgleich er wußte, daß er existierte. Wenn er erwachte, konnte er sich nie an diesen vierten Namen erinnern. Er begann sich zu fragen, ob es so etwas wie Reinkarnation gab. Entsann er sich vielleicht seiner früheren Leben? Das war jedenfalls seine instinktive Schlußfolgerung. Aber sein gesunder Menschenverstand ließ diese Erklärung nicht zu.
    In seinen Träumen begegnete er auch manchmal Yisselda. Und in diesen Träumen war er immer beunruhigt, spürte er die schwere Last der Verantwortung auf sich drücken - und ein Schuldbewußtsein. Er hatte jedesmal das Gefühl, es sei seine Pflicht, irgend etwas ganz Bestimmtes zu tun, aber nie wurde ihm klar, was das sein mochte. Hatte er andere Leben hinter sich, die genau so tragisch gewesen waren wie dieses? Der Gedanke an eine Ewigkeit der Tragödie war zu viel für ihn. Er verscheuchte ihn, ehe er sich ganz formen konnte.
    Und doch schienen ihm diese Vorstellungen irgendwie halbvertraut. Wo hatte er von ihnen gehört? War er ihnen begegnet? In anderen, früheren Träumen? Im Gespräch mit jemandem? Mit Bowgentle, vielleicht? In Dnark, der fernen Stadt des Runenstabs?
    Er begann sich bedroht zu fühlen. Er lernte Furcht kennen. Selbst die Zinnfiguren auf seinen Tischen waren halbvergessen. Er sah aus den Augenwinkeln bereits sich bewegende Schatten. Was beschwor diese Angst herauf?
    Er dachte, er sei vielleicht nahe daran, die Wahrheit über Yisselda zu verstehen, und irgendwelche Kräfte sollten es verhindern, Kräfte, die ihn möglicherweise töten würden, wenn er herausfand, wie er seine Liebste erreichen konnte.
    Das einzige, was Hawkmoon nicht in Betracht zog - die einzige Antwort, die ihm gar nicht in den Sinn kam - war, daß diese Furcht im Grund genommen eine Angst vor sich selber war, die Angst, sich einer unerfreulichen Wahrheit zu stellen. Die Lüge war es, die bedroht wurde, die Lüge, die seinen Verstand schützte; und wie die meisten Menschen es tun,
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