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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Badestelle, noch ehe die Sonne hervorbrach, denn er wollte niemandem begegnen. Es war der Tag der Ratsversammlung, und er erwartete unruhig, was sie beschließen würde. Am Pfahl hatte ihn eine Ruhe durchdrungen gehabt, die einer finsteren Nacht glich. Aber jetzt waren schon die ersten Hoffnungsschimmer eingedrungen. Er war in seinem Zelt. Er hatte Untschida und Uinonah wiedergesehen. Er hatte mit seinen alten Gefährten gesprochen. Leise knüpften sich die Fäden, die ihn wieder an das Leben in der alten Gemeinschaft banden, und schon wäre es schmerzhaft erschienen, sie wieder zerreißen zu müssen.
    Ehe Tschetansapa, der Ratsmann war, zu der Versammlung ging, suchte er mit Tschapa zusammen Stein mit Hörnern im Zelt auf. Die drei Jugendgefährten setzten sich an die Feuerstelle und rauchten. Stein mit Hörnern fühlte sich dabei wohler, wenn die Pfeife auch nur mit Tabak aus roter Weide gestopft war.
    »Die Ältesten und Häuptlinge werden über dich beraten«, erklärte Tschetansapa, »und du wirst vor die Versammlung gerufen werden, vermutlich nach einigen Stunden. Hast du einen Rock, den du anlegen kannst?«
    Stein mit Hörnern blies die Luft durch die Lippen: »Ist euch der Rock wichtig? Ich habe mich den Regeln einer Zeltgemeinschaft wohl sehr entwöhnt.«
    Uinonah kam herbei und zeigte Tschetansapa den fertigen Festrock, den sie gestickt hatte. Der Krieger war sehr zufrieden.
    Stein mit Hörnern war es jedoch nicht. »Es ist ein Häuptlingsrock; ich ziehe ihn nicht an.« Es erschien ihm grotesk und lächerlich, über eine solche Frage überhaupt ein Wort zu verlieren.
    »Nimm diesen Rock«, rief Tschapa Kraushaar, »und mache dich darauf gefaßt, daß wir dich als Kriegshäuptling wählen! Es steht uns ein schwerer Kampf mit den Langmessern bevor. Du kennst sie und verstehst zu kämpfen.«
    Tschetansapa ergänzte: »Der Alte Rabe gibt sein Amt ab«, und er warf seinem Freund einen Blick zu, als wolle er sagen: du weißt, warum.
    Stein mit Hörnern aber fühlte sich unsicher und war sehr erregt. »Du hast immer gern Scherze gemacht«, antwortete er Tschapa Kraushaar, »doch was du jetzt zu mir gesagt hast, war überflüssiger Spott. Ich werde nie ein Häuptling sein, das weißt du so gut wie ich. Tschetansapa wird gewählt werden, und wem würde ich lieber gehorchen als ihm, wenn ich je als ein Krieger bei den Söhnen der Großen Bärin leben sollte!«
    Tschetansapa verabschiedete sich, da die Versammlung im Beratungszelt begann. Tschapa Kraushaar blieb noch sitzen, aber es wollte kein weiteres Gespräch zustande kommen. Die kurze Auseinandersetzung zwischen den beiden Jugendfreunden lahmte noch die Zungen. Die Gedanken von Stein mit Hörnern waren langsam, das Denken machte ihm Mühe, und er ärgerte sich noch ziemlich lange über die Bemerkung Tschapa Kraushaars zur Frage eines neuen Kriegshäuptlings. Tschapa seinerseits würgte daran, daß er den Zurückkehrenden gekränkt hatte, wo er ihn hatte erfreuen wollen.
    Das kraushaarige Krieger mochte aber auch nicht weggehen und den Jugendfreund allein lassen, während die Versammlung drüben im Beratungszelt über das Schicksal des Heimgekehrten beriet. Tschapa merkte wohl, wie Stein mit Hörnern zu lauschen begann. Die Stimmen der Redner waren zu hören, aber Worte waren nicht zu verstehen. Während Tschapa den Freund, der ihm gegenüber an der Feuerstelle saß, unbemerkt beobachtete, erkannte er, daß für Stein mit Hörnern die beiden Tage und die Nacht am Pfahl, das endlos erscheinende Gericht über ihn, alle die heraufbeschworenen Erinnerungen nicht damit abgetan waren, daß der Heimgekehrte lebend vom Pfahl weggebracht worden war, daß er wieder daheim war, schlafen und seinen Durst löschen konnte. In seinem Körper und in seiner Vorstellungskraft mußte noch alles nachzittern. Tschapa verstand auf einmal die Schärfe, mit der der Freund ihm geantwortet hatte. Er glaubte, sich jetzt besser in ihn einfühlen zu können. Stein mit Hörnern war noch immer müde, das sah er auch, und der Heimgekehrte hätte, was seinen Körper anbetraf, sich am besten hingelegt und geschlafen. Doch die Ratsversammlung tagte und beriet über sein Schicksal, und in diesen langen Stunden gab es wohl nur eines, was würdig und aufrichtend war: ein Gespräch der Freunde über die am schwersten wiegenden Fragen, die beide bewegen mußten und die noch gewichtiger waren als die eines einzelnen Lebens, weil sie das Leben vieler betrafen.
    Als Tschapa Kraushaar mit seinen Gedanken so
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