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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt
Autoren: Purpurmond
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ich liebgewonnen hatte, nicht endgültig hätte sein müssen, besonders von dem Menschen, in den ich mich Herz über Kopf verliebt hatte!
    Aber das Leben war kein Wunschkonzert, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte. Ich fühlte mit absoluter Gewissheit: Diesmal würde Jakob mich nicht festhalten können, wenn der Zeitstrudel kam. Es blieb nichts mehr zu sagen, es gab keine Fragen mehr, kein »Warum«, und jedes Hadern wäre Zeitverschwendung. Und so lagen wir schweigend im Gras, so fest umschlungen, dass ich nicht mehr wusste, wo mein Körper aufhörte und wo Jakobs anfing. Obwohl ich mindestens seit 48 Stunden nicht geschlafen hatte, spürte ich keine Müdigkeit. Eng aneinandergeschmiegt spürten wir den Schlag vom Herzen des anderen. Auch wenn ich gehen musste, die Liebe würde ich mitnehmen.
     
    Viel zu früh ging die Sonne unter und übergoss den Himmel mit flammenden Farben. Schnell, viel zu schnell wechselte das glühende Rotorange in ein sanftes Grünblau, ehe ein letztes, lilafarbenes Aufschimmern sich noch einmal gegen die kommende Nacht aufbäumte. Vergeblich, denn schon fiel die Schwärze wie der dunkle Flügelschlag eines Nachtvogels über das Land. Es war Neumond, keine silberne Sichel würde sich am Himmel zeigen, dafür erschienen die ersten Sterne wie kleine Lichtpunkte im Dunkeln.
    Ich fühlte bereits den wohlbekannten Schwindel, zwar noch ganz leicht, aber ich wusste, es würde nicht mehr lange dauern, dann würde der purpurschwarze Strudel kommen und mich fortreißen. Ich blickte in Jakobs schöne graue Augen und las darin, dass er wusste, ich musste ihn nun verlassen. In diesem Augenblick fiel mir ein Gedicht von Friedrich Hölderlin ein, das ich vor einiger Zeit mal in meinem Tagebuch notiert hatte, weil es mich so berührt hatte. Ich hätte nur nie gedacht, dass es irgendwann tatsächlich für mich zutreffen würde, dass ich einmal so für einen Jungen empfinden könnte. Sanft zog ich Jakobs Kopf zu mir herunter. Die Lippen ganz nah an seinem Ohr, flüsterte ich ihm die Zeilen zu, die ich auswendig kannte:
    Ich würde Jahrtausende lang die Sterne durchwandern,
    in allen Formen mich kleiden,
    in allen Sprachen des Lebens,
    um dir einmal wieder zu begegnen.
    Er schwieg eine lange Weile. Den Kopf an seine Brust gelehnt, spürte ich seinen Atem. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. Sein Blick war voll liebevoller Trauer auf mich gerichtet. Nie würde ich diesen Moment vergessen. Jakob setzte zum Sprechen an.
    »Ich habe von einem italienischen Dichter gelesen, der vor 100 Jahren lebte. Seinen Namen weiß ich nicht mehr, jedoch stammt von ihm ein Satz, von dem ich bisher immer dachte, er beziehe sich auf das Göttliche. Doch nun bin ich eines Besseren belehrt …« Jakob legte seine Hand an meine Wange und sah mir tief in die Augen, während er nur einen Satz sagte: »Die Liebe bewegt die Sonne und alle Sterne.«
    Als ich seinen Mund auf meinem spürte, schloss ich die Augen. Ein paar lange, kostbare Sekunden verharrten wir in einen Kuss versunken. Als ich die Augen wieder öffnete, war Jakob in die Dunkelheit der Nacht eingetaucht. Ich hörte nur noch seine leisen Schritte im Gras, wie ein Flüstern, ehe auch sie verklangen. Er war fort. Für immer. Nur sein Ammonit, der schwer in meiner Hand lag, war mir von ihm geblieben.
    Mir war, als würde ich innerlich verbrennen. Der Schmerz fraß sich wie an einer Zündschnur durch meinen Kopf, mein Herz, bis tief in den Magen hinein. Mein Körper krümmte sich wie unter einem heftigen Krampf zusammen. Ich drückte mein Gesicht in den Boden, und meine Finger krallten sich in das weiche, kühle Gras. Und so lag ich auf dem Boden, den die mondlose Nacht des 17. Mai 1630 langsam auskühlte, und dachte an Jakob und Dorothea. Und doch versteckte sich unter der Traurigkeit auch ein anderes Gefühl. Wie ein kleiner, samtschwarzer Maulwurf bahnte es sich langsam, aber beständig seinen Weg an die Oberfläche. Es war die Gewissheit, nicht hierher zu gehören. Als ob man in den Urlaub flöge und sich an einem Strand, in einer Finca oder in einem italienischen Dorf so wohl fühlt, dass man glaubt, nie wieder wegzuwollen. Gleichzeitig aber weiß man, dass dies nur ein Urlaubsaufenthalt und nicht das Zuhause ist und man irgendwann wieder gehen muss. Dorthin, wo man wirklich hingehört. Und so war es auch bei mir. Meine Liebe zu Jakob war schon jetzt Vergangenheit.
    Schon begannen die Sterne am Nachthimmel, in einem irrlichternden Tanz zu rotieren, und ich sah die
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