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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Autoren: Johanna Spyri
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schauten ganz bekannt zu ihm hernieder, so wie gute Freunde.
    Jetzt hörte Heidi über sich ein lautes, scharfes Geschrei und Krächzen ertönen, und wie es aufschaute, kreiste über ihm ein so großer Vogel, wie es nie in seinem Leben gesehen hatte, mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Luft umher, und in großen Bogen kehrte er immer wieder zurück und krächzte laut und durchdringend über Heidis Kopf.
    “Peter! Peter! Erwache!”, rief Heidi laut. “Sich, der Raubvogel ist da, sieh! Sieh!”
    Peter erhob sich auf den Ruf und schaute mit Heidi dem Vogel nach, der sich nun höher und höher hinaufschwang ins Himmelsblau und endlich über grauen Felsen verschwand.
    “Wo ist er jetzt hin?”, fragte Heidi, das mit gespannter
Aufmerksamkeit den Vogel verfolgt hatte.
    “Heim ins Nest”, war Peters Antwort.
    “Ist er dort oben daheim? Oh, wie schön so hoch oben! Warum schreit er so?”, fragte Heidi weiter.
    “Weil er muss”, erklärte Peter.
    “Wir wollen doch dort hinaufklettern und sehen, wo er daheim ist”, schlug Heidi vor.
    “Oh! oh! oh!”, brach der Peter aus, jeden Ausruf mit verstärkter Missbilligung hervorstoßend; “wenn keine Geiß mehr dorthin kann und der Öhi gesagt hat, du dürfest nicht über die Felsen hinunterfallen.”
    Jetzt begann der Peter mit einem Mal ein so gewaltiges Pfeifen und Rufen anzustimmen, dass Heidi gar nicht wusste, was begegnen sollte; aber die Geißen mussten die Töne verstehen, denn eine nach der anderen kam heruntergesprungen, und nun war die ganze Schar auf der grünen Halde versammelt, die einen fortnagend an den würzigen Halmen, die anderen hin und her rennend und die Dritten ein wenig gegeneinander stoßend mit ihren Hörnern zum Zeitvertreib. Heidi war aufgesprungen und rannte mitten unter den Geißen umher, denn das war ihm ein neuer, unbeschreiblich vergnüglicher Anblick, wie die Tierlein durcheinander sprangen und sich lustig machten, und Heidi sprang von einem zum anderen und machte mit jedem ganz persönliche Bekanntschaft, denn jedes war eine ganz besondere Erscheinung für sich und hatte seine eigenen Manieren. Unterdessen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier Stücke, die drin waren, schön auf den Boden hingelegt in ein Viereck, die großen Stücke auf Heidis Seite und die kleinen auf die seinige hin, denn er wusste genau, wie er sie erhalten hatte. Dann nahm er das Schüsselchen und melkte schöne, frische Milch hinein vom Schwänli und stellte das Schüsselchen mitten ins Viereck. Dann rief er Heidi herbei, musste aber länger rufen als nach den Geißen, denn das Kind war so in Eifer und Freude über die mannigfaltigen Sprünge und Erlustigungen seiner neuen Spielkameraden, dass es nichts sah und nichts hörte außer diesen. Aber Peter wusste sich verständlich zu machen, er rief, dass es bis in die Felsen hinaufdröhnte, und nun erschien Heidi und die gedeckte Tafel sah so einladend aus, dass es um sie herumhüpfte vor Wohlgefallen.
    “Hör auf zu hopsen, es ist Zeit zum Essen”, sagte Peter, “jetzt sitz und fang an.”
    Heidi setzte sich hin. “Ist die Milch mein?”, fragte es, nochmals das schöne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend.
    “Ja”, erwiderte Peter, “und die zwei großen Stücke zum Essen sind auch dein, und wenn du ausgetrunken hast, bekommst du noch ein Schüsselchen vom Schwänli und dann komm ich.”
    “Und von wem bekommst du die Milch?”, wollte Heidi wissen.
    “Von meiner Geiß, von der Schnecke. Fang einmal zu essen an”, mahnte Peter wieder. Heidi fing bei seiner Milch an, und sowie es sein leeres Schüsselchen hinstellte, stand Peter auf und holte ein zweites herbei. Dazu brach Heidi ein Stück von seinem Brot ab, und das ganze übrige Stück, das immer noch größer war, als Peters eigenes Stück gewesen, das nun schon samt Zubehör fast zu Ende war, reichte es diesem hinüber mit dem ganzen großen Brocken Käse und sagte: “Das kannst du haben, ich habe nun genug.”
    Peter schaute das Heidi mit sprachloser Verwunderung an, denn noch nie in seinem Leben hätte er so sagen und etwas weggeben können. Er zögerte noch ein wenig, denn er konnte nicht recht glauben, dass es dem Heidi ernst sei; aber dieses hielt erst fest seine Stücke hin, und da Peter nicht zugriff, legte sie es ihm aufs Knie. Nun sah er, dass es ernst gemeint sei; er erfasste sein Geschenk, nickte in Dank und Zustimmung und hielt nun ein so reichliches Mittagsmahl wie noch nie in seinem Leben
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