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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut
Autoren: Wolgang Burger
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ich die Nachbarin, als wir später im Garten auf einer wurmstichigen und etwas wackeligen Bank Platz nahmen. Wir waren beide froh, an die frische Luft zu kommen. »Ungefähr wenigstens?«
    »Ich habe natürlich schon darüber nachgedacht. Vergangenen Mittwoch, da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Später nicht mehr.«
    »Haben Sie in den Tagen davor etwas Auffälliges bemerkt? Unbekannte Besucher? Oder ein Auto, das sonst nie hier parkte?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Alles war wie immer. Auch Herr Seligmann war eigentlich wie immer.«
    »Was genau war an diesem Mittwoch?«
    Wenn ich sprach, hing ihr Blick an meinen Lippen, als würde sie ständig fürchten, etwas zu überhören.
    »Er hat morgens seine Mülltonne herausgestellt. Wir haben uns über den Zaun gegrüßt. Zum letzten Mal gesprochen habe ich ihn am Montag. Da ging er wie üblich einkaufen, ich hatte im Garten zu tun, wir haben ja so schrecklich viele Schildläuse dieses Jahr, und er hat mir einen Trick verraten dagegen: Spiritus. Es scheint tatsächlich zu helfen.«
    »Hat Herr Seligmann Verwandtschaft?«
    Sie wandte die Augen ab und betrachtete einen Rosenbusch in der Nähe.
    »Über solche Dinge haben wir nie gesprochen. Nur, dass er früher einmal verheiratet war, weiß ich. Aber er ist schon lange geschieden. Die Ehe hat wohl auch nicht lange gehalten.«
    Ich machte mir eine Notiz. »Nur zur Sicherheit: 1st er auf Medikamente angewiesen?«
    »Er hat es am Herzen. Dagegen nimmt er Tabletten, das hat er mir einmal gesagt. Wenn er die nicht regelmäßig nimmt, dann kann es wohl problematisch werden.«
    »Ihr Sohn sagte mir, Ihr Nachbar sei auch früher hin und wieder verreist. Wohin fährt er dann für gewöhnlich?«
    »Zweimal die Woche macht er einen Ausflug. Montags und donnerstags, immer nachmittags gegen zwei fährt er los. Ich habe ihn nie gefragt, wohin. Das geht mich ja auch nichts an. Außerdem hatte ich das Gefühl, er mochte nicht darüber sprechen.«
    »Wie lange bleibt er für gewöhnlich fort?«
    »Abends um sieben, spätestens halb acht, ist er immer zurück.«
    Der Platz in Seligmanns Garten war hübsch und angenehm. Wir saßen im Schatten, die Rosen dufteten, eine Amsel sang über uns in einer alten Tanne. Plötzlich verstand ich den Besitzer dieses Dschungels. Auch mir gefiel die Wildnis hier tausendmal besser als die gepflegte grüne Wüste nebenan.
    »Den Rasen mäht mein Mann.« Meine Gesprächspartnerin konnte offenbar Gedanken lesen. »Mein Reich ist der hintere Teil. Dort, wo die Rhododendren stehen.«
    »Wissen Sie, ob Herr Seligmann auch vergangene Woche seine Ausflüge gemacht hat?«
    »Am Montag ja. Ob er am Donnerstag gefahren ist, kann ich nicht sagen. Ich war am Nachmittag in der Stadt. Ich …« Sie spielte eine Weile mit ihren zerbrechlichen Mädchenfingern. »Ich muss manchmal ganz plötzlich fort. Aus diesem Haus. Ich bekomme manchmal regelrechte Erstickungsanfälle seit dieser Geschichte …«
    »Als Sie als Geisel gehalten wurden?«, fragte ich vorsichtig.
    Sie schloss die Augen und nickte. »Manchmal, vor allem, wenn ich allein bin, muss ich auf einmal an die Luft«, flüsterte sie. »Unter Menschen. Ich kann das Alleinsein so schlecht ertragen, seither. An manchen Tagen geht es schon wieder recht gut. An anderen … Mein Mann arbeitet natürlich tagsüber. Und David ist ja auch nur selten da.«
    »Ein sympathischer Junge, übrigens. Was macht er?«
    »Er studiert Psychologie, hier an der Universität. Anfangs war er einige Semester in Marburg. Im kommenden Winter macht er Examen.«
    Ein kleiner Schwarm Spatzen landete zeternd vor unseren Füßen, ohne uns zu beachten. Die Vögel stritten einen Augenblick herum und stoben wieder davon. Auf der Straße fuhr langsam ein dunkler Mercedes vorbei.
    »Wo war Ihr Sohn eigentlich an dem Morgen, als Sie überfallen wurden? Es war noch vor acht. Da finden ja wohl keine Vorlesungen statt.«
    Jetzt glänzte ein wenig Stolz in ihren Augen. »David ist sozial sehr engagiert. Er hilft in einem Heim für mehrfach behinderte Kinder, wenn Not am Mann ist. In Mannheim drüben. Seit Wochen ist er jeden Morgen zwei Stunden dort, um beim Frühstück zu helfen, von sechs bis acht. Anschließend fährt er meist direkt in die Uni.«
    »Kommen wir noch einmal zum vergangenen Montag. Das war heute vor einer Woche. Nachdem Herr Seligmann vormittags einkaufen war, haben Sie ihn also nur noch einmal gesehen?«
    Sie nickte ernst. »Am Mittwochmorgen.«
    »Aber gehört vielleicht? Man kennt
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