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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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ging sie zum Haus und hämmerte an die Tür. Mandy öffnete im Nachthemd. Ihre nackten Waden waren weiß und von Adern durchzogen, und ohne Make-up wirkten ihre Augen verquollen. Ihr Haar stand wirr vom Kopf ab. Sie stand mit verschränkten Armen fröstelnd in der Tür und blinzelte Flea an.
    »Ich hab sie im Wagen, Mandy. Sie liegt im Kofferraum.«
    »Wer ist im Wagen? Wen hast du mitgebracht?«
    »Du kannst dich entspannen. Ich hab kein Aufzeichnungsgerät dabei.«
    Mandy sah sie verwirrt an. »Was für ein Gerät?«
    Flea seufzte. Sie ging zum Wagen und öffnete den Kofferraum. Die Leiche lag unter einer Wolldecke zwischen ein paar flachgedrückten Pappkartons. Schon sickerte Wasser in die Pappe. Sie hob den Kopf und sah Mandy an. »Schau her.«
    Mandy kam auf bloßen Füßen ein paar Schritte näher und starrte die Gestalt im Kofferraum an. Im orangegelben Licht der Straßenbeleuchtung war ihre Miene ausdruckslos. Fast eine Minute verging. Dann schien etwas in ihrem Gesicht zu verrutschen. Sie schaute zu den Fenstern der Nachbarn und schluckte. »Mach das zu, bitte.«
    Flea schlug den Kofferraum zu und kam zurück zum Gartentor. Sie holte tief Luft und blickte zum Himmel empor. Schon wieder Wolken. Immer Wolken. »Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du hast, was du willst. Du hast gewonnen.«
    »Was gewonnen?«
    »Ich werde mich um das Problem kümmern.«
    Jetzt trat eine Pause ein. Mandy schaute die Straße entlang, um sicher zu sein, dass niemand da war. Dann sah sie Flea an. »Gut. Das ist gut.«
    »Ist Thom da?«
    »Er schläft. Es war schwer für ihn. Ich möchte ihn nicht wecken.«
    Flea starrte Mandy an. »Sag mir nur eines.«
    »Muss das sein?«
    »Die Wahrheit. Bitte. Die Wahrheit. Mehr will ich nicht wissen, und dann bin ich weg.«
    »Worüber?«
    »Über Thom. Hat er dich dazu angestiftet? Oder war es deine Idee?«
    Mandys Augen glitzerten. Sie warf einen Blick auf den Kofferraum, und jetzt zitterte sie.
    »Und? War es deine Idee oder seine?«
    »Um aller Beteiligten willen« - ihre Stimme war leise, fast unhörbar -, »es ist besser, wenn du die Antwort auf diese Frage niemals erfährst.«
    Sie ging zurück ins Haus, schloss die Tür hinter sich und ließ Flea auf der Straße stehen, einsam und frierend unter der Laterne.
     

70
    Die Landschaft lag verlassen da. Die Wolken hingen tief über den Feldern und ließen alles, jedes Blatt und jeden Ast, in einem gespenstischen, kalkigen Licht erscheinen. Flea steuerte den Focus zielstrebig über die kleinen, zu dieser Nachtzeit nicht von der Verkehrspolizei überwachten Landstraßen. Nur wenige Autos waren unterwegs. Sie fragte sich, wie sie für die entgegenkommenden Fahrer aussehen mochte. Ein hartes, entschlossenes Gesicht im Scheinwerferlicht. Das Lenkrad fest umklammert. Ein bohrender Blick hinter der Frontscheibe. Fast wie eine Besessene.
    Sie verließ die Straße. Der Focus holperte über den ausgefahrenen Feldweg zum Steinbruch Nummer acht. Im Kofferraum rutschte der Leichnam über die Pappe. Sie fand eine Lücke im Buschwerk am Wegrand, riss das Steuer herum, gab Gas und lenkte den Wagen tief ins Unterholz. Die Achse prallte hart gegen einen umgestürzten Baumstamm, als sie anhielt. Sie stieg aus und stapfte zurück zum Rand des Steinbruchs. Auf dem verlassenen Weg blieb sie stehen, lauschte und spähte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Niemand war ihr gefolgt. Elf's Grotto war so abgelegen, so einsam, dass niemand je hier auftauchte. Trotzdem behielt sie die Straße fast fünf Minuten lang im Auge, bis sie wirklich sicher war.
    Vor ungefähr fünfzehn Jahren, als sie und Thom noch Kinder waren, war eine Frau in Bath aus einem Nachtklub verschwunden. Auf dem Schulhof hatten sie einander Angst eingejagt: Wer immer die Frau geholt haben mochte, als Nächstes würde er sich Kinder vornehmen. Erst als Flea erwachsen war und als Polizistin arbeitete, hatte sie die Wahrheit erfahren. Die Frau war nicht von einem Buhmann umgebracht worden, sondern von dem Kerl, mit dem sie den Klub auf einen One-Night-Stand verlassen hatte. Er hatte sie beim Zurücksetzen mit seinem Wagen überfahren. Wahrscheinlich war es nie seine Absicht gewesen, sie zu töten, aber er hatte es getan und anschließend die Leiche auf einer Schweinefarm verbuddelt. Flea hatte in einem stickig heißen Sommer drei Wochen damit verbracht, Knochen aus einer Grube zu wühlen, sie zu dampfreinigen und dem Anthropologen zu übergeben. Aber sie konnten die Leiche nie finden, und ohne
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