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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen
Autoren: P Dempf
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ritten.
    Die Frauen flüchteten auf die Steinbänke vor dem Brunnen. Contrario zog Jan in eine der Hausnischen. Die Reiter
kamen von einem der äußeren Stadttore und ritten in Richtung der Karlsbrücke und der Burg.
    Contrario hielt den Jungen am Arm fest. »Der Kaiser!«, krächzte er plötzlich und deutete auf eine eher rundliche Gestalt inmitten der Reiter. »Man bekommt ihn nur selten zu sehen.«
    Jan beobachtete zuerst den Regenten, dann aber warf er heimlich einen Blick auf Contrario-Buntfinger. Der sah mit brennenden Augen Kaiser Rudolf II. nach, als wollte er ihn auf der Stelle entthronen. Sie blieben noch eine Zeit lang in ihrer Nische, weil immer wieder wild gewordene Kurierreiter, die offenbar überaus wichtige Depeschen transportierten, die unbefestigten Lehmwege entlangpreschten.
    Erst als der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches weitergezogen war und wohl schon die Brücke zur Kleinseite hin erreicht hatte, setzten sie ihren Weg fort. Sie überquerten den großen Marktplatz. Als sie an der astronomischen Uhr am Rathausturm vorüberkamen, schnaubte Contrario voller Unmut durch die Nase. Die Zeiger der Uhr standen seit über einer Woche still, wusste Jan. Die Ratsherren waren wie die aufgeschreckten Hühner umhergelaufen und hatten bei Mechanikern und Uhrmachern gebettelt, das Uhrwerk zu reparieren und wieder in Gang zu setzen, doch die Zunft der Instrumentenbauer hatte abgewunken. Seit Magister Hanus von der Karlsuniversität nach dem Bau seines Werkes geblendet worden war, damit er sein Wissen um die Mechanik nicht verraten konnte, wollte niemand mehr für den Rat Prags ein Uhrwerk bauen oder gar reparieren. Hinzu kam ein merkwürdiger Umstand, der unter der Hand weitererzählt wurde: Niemand fand mehr einen Aufgang zum Uhrturm. Es schien, als sei er seit dem Stillstand des Uhrwerks verschwunden, was ja nicht sein konnte, da er deutlich sichtbar im unteren Ende des Uhrturms zu sehen
war. Obwohl Jan zu gerne mehr darüber erfahren hätte, scheuchte ihn ein lautes Schnaufen des Adlatus weiter.
    Offenbar trieben Contrario ähnliche Gedanken um, denn er grinste schief in sich hinein und murmelte: »Man müsste nur suchen, man müsste nur suchen.«
    Contrario führte Jan über die Karlsbrücke, die zu Beginn und am Ende von je einem Torturm begrenzt wurde, und hielt sich dann nach Norden, entlang der Mauer, die die Stadt von der Moldau trennte. Dort hatten sich im feuchten Schatten der Verteidigungsanlage die Ärmsten der Armen niedergelassen. Contrario, der schief ging und deutlich humpelte, trug eine Umhängetasche und einen Stab, auf den er sich stützte. Er atmete schwer, als könnten seine Lungen den Körper nur unzureichend mit Luft versorgen.
    Dennoch rannte er beinahe, und Jan hatte einige Mühe, ihm zu folgen.
    Zielstrebig steuerten sie ein Häusergeviert an, dessen graue Eintönigkeit vermuten ließ, dass es einst dasselbe Schicksal erlitten hatte wie Jans bisherige Unterkunft, das Waisenhaus. Manche der Gebäude waren zusammengestürzt. Die Balken zu morsch, als dass sie das Gewicht des Dachstuhls oder der Wände hätten halten können. Contrario humpelte, ohne zu zögern, in den dunklen Eingang, wandte sich dem Treppenhaus zu und stieg behände in den ersten Stock hinauf.
    Ohne anzuklopfen, öffnete er eine der Türen und trat ein. Auf einer hölzernen Pritsche hockten ein dünner Mann und zwei kleine Kinder. An der Feuerstelle werkelte eine ebenso dürre Frau mit grauem Gesicht. Ihre Blicke richteten sich auf die Ankommenden. Jedoch wirkten ihre Mienen teilnahmslos und leer. Aus einem Berg Lumpen in der Ecke begrüßte sie ein tiefes, raues Husten.
    »Wie geht es ihr?«, murmelte Contrario.

    Die Frau am Herd zwang sich ein Lächeln ab. »Etwas besser. Der Husten hat nachgelassen.«
    Contrario nickte. »Schön. Gebt ihr das hier, wenn ich wieder weg bin. Ein wenig Laudanum wird sie schlafen lassen. Schlaf befördert die Heilung.« Er drückte dem dürren Mann eine kleine Phiole mit dunkler Flüssigkeit in die Hand. »Doch zuerst … ich muss sie zur Ader lassen!«
    Ohne auf die Familie zu achten, trat Contrario ans Bett der Kranken. Aus dem Berg aus Lumpen und Fetzen sah Jan ein kleines, blasses Gesicht entgegen. Es war vermutlich die Großmutter, obwohl er dem Aussehen nach nicht sagen konnte, wie alt die Frau wirklich war.
    Sie atmete schwer und tiefdunkle Ringe umschatteten ihre Augen. Ihre Nase ragte spitz empor, und auf der linken Wange hatte sich eine Warze entzündet, nässte und
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