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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Autoren: Michael Connelly
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und die gegenwärtige Staatsanwaltschaft nichts mit der aus dem Jahr 1986 zu tun hatte; in der Regel haben Strafverteidiger so wenige Erfolgserlebnisse, dass sie immer eine Art kollektiver Freude empfinden, wenn es anderen gelingt, dem Establishment eins auszuwischen und einen Sieg zu erringen.
    Die Revision des Urteils durch den Supreme Court war in der vergangenen Woche bekanntgegeben worden, und zeitgleich damit hatte eine Sechzigtagefrist zu laufen begonnen, während deren der District Attorney entweder ein neues Verfahren eröffnen oder Jessup aus der Haft entlassen musste. Seit diesem Gerichtsentscheid schien kein Tag vergangen zu sein, an dem die Medien nicht über Jessup berichtet hatten. Er gab in San Quentin, telefonisch und persönlich, mehrere Interviews, in denen er seine Unschuld beteuerte und schwere Vorwürfe gegen die Polizisten und Staatsanwälte erhob, die ihn dorthin gebracht hatten. In seiner Not hatte er sich der Unterstützung mehrerer Hollywoodstars und Sportgrößen versichern können und bereits eine Zivilklage gegen Stadt und County angestrengt, in der er für die vielen Jahre, die er zu Unrecht inhaftiert gewesen war, Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe stellte. In Zeiten eines nie zum Stillstand kommenden Medienzirkus verfügte er über ein kontinuierliches Forum, das er dazu nutzte, sich zum Volkshelden hochzustilisieren. Wenn er schließlich das Gefängnis verließe, wäre er eine Berühmtheit.
    Angesichts des wenigen, was ich über die Einzelheiten des Falls wusste, war ich zu der Auffassung gelangt, dass der Mann unschuldig war und fast ein Vierteljahrhundert lang Schreckliches hatte durchmachen müssen und deshalb jeden Cent an Entschädigung verdiente, den er erstreiten konnte. Ich wusste zudem genügend über den Fall, um mir darüber im Klaren zu sein, dass die Anklage angesichts des zu Jessups Gunsten ausgefallenen Gentests bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens auf verlorenem Posten stünde, weshalb sehr unwahrscheinlich war, dass die Idee, sich auf ein derartiges politisches Selbstmordkommando einzulassen, auf Williams’ und Ridells Mist gewachsen war.
    Es sei denn …
    »Was wissen Sie, was ich nicht weiß?«, fragte ich. »Und was auch die
Los Angeles Times
nicht weiß?«
    Williams lächelte selbstgefällig und beugte sich über den Tisch, um mir die Antwort zu geben.
    »Alles, was Jessup mit Hilfe des GJP nachweisen konnte, war, dass seine DNA nicht auf dem Kleid des Opfers war. Als Antragsteller obliegt es ihm nicht, nachzuweisen, von wem es stammt.«
    »Deshalb haben Sie es durch die Datenbanken laufen lassen.«
    Williams nickte. »Haben wir. Und einen Treffer erzielt.«
    Mehr rückte er nicht heraus.
    »Und? Von wem war’s?«
    »Das werde ich Ihnen erst verraten, wenn Sie bei uns einsteigen. Andernfalls muss ich diese Information vertraulich behandeln. Aber ich will Ihnen zumindest schon so viel sagen, dass ich glaube, unsere Erkenntnisse werden in einer Prozessstrategie resultieren, die wahrscheinlich die DNA -Problematik neutralisieren kann und zugleich den Rest der Beweisführung – und die Beweislage – mehr oder weniger intakt lässt. Die DNA war schon für die erste Verurteilung nicht nötig. Und wir werden sie auch jetzt nicht brauchen. Wie schon 1986 sind wir der Auffassung, dass Jessup die Tat begangen hat, und ich würde mich einer groben Pflichtverletzung schuldig machen, wenn ich nicht erneut Anklage gegen ihn erhöbe, und zwar ungeachtet der Chancen für eine erneute Verurteilung, der möglichen politischen Konsequenzen und der Wahrnehmung des Falls in der Öffentlichkeit.«
    Sprach’s, als blickte er in die Kameras und nicht auf mich.
    »Warum übernehmen Sie dann die Anklage nicht selbst?«, fragte ich. »Warum kommen Sie damit zu mir? Sie haben in Ihrer Behörde dreihundert fähige Anwälte. Mir fällt zum Beispiel spontan jemand in der Dienststelle Van Nuys ein, der diesen Fall mit Handkuss übernähme. Warum ausgerechnet ich?«
    »Weil in diesem Fall die Anklage nicht von einem Angehörigen der Staatsanwaltschaft vertreten werden darf. Sie haben doch sicher von den Anschuldigungen gegen uns gehört oder gelesen. Dieser Fall ist von Anfang an mit einem Makel behaftet, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass kein einziger Staatsanwalt mehr für mich arbeitet, der damals schon bei uns war. Daher muss ich notgedrungen auf jemanden zurückgreifen, der nicht meiner Behörde angehört. In dieser Sache kann uns nur ein absolut neutraler und
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