Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler

Titel: Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Autoren: Christiane Stella Harald;Bongertz Glööckler
Vom Netzwerk:
für die zwei oder drei Stunden meiner Anwesenheit nichts anderes vorgenommen. Das gab mir das Gefühl, wichtig zu sein. Sie erzählte mir von früher, zeigte mir vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos mit ihr als junger Frau und mit Familienmitgliedern, die schon lange nicht mehr lebten. Aber wenn es warm war, ging ich nach dem Essen fast immer erst in den Garten zu den Rosen, meistens kam Großmutter mit. Manchmal jätete sie Unkraut, häufiger saß sie an dem alten Marmortisch und trank Tee.
    Ich liege auf dem Rücken im Gras am Rosenbeet und schaue in den Himmel. Es ist schwül, und es hat sich zugezogen. Ein Gewitter kündigt sich an, irgendwo rumort ein Donner. Kleine Gewittertierchen sitzen auf meinen Armen, die ich nach oben strecke, um die kitzelnden Wesen zu betrachten. Ich blinzele gegen die Helligkeit. Dann spüre ich den ersten Tropfen am Kinn, kurz darauf den zweiten. »Junge, lass uns reingehen, sonst werden wir noch nass«, sagt Großmutter und räumt mit leisem Klirren das Teegeschirr auf das silberne Tablett.
    Fast alles, was in Großmutters Haus aus Silber oder Gold war, hatte mein Großvater selbst gemacht. Er war Gold- und Silberschmied gewesen und gestorben, als ich vier war. Aber ich hatte immer das Bild eines gütigen alten Mannes vor Augen. Das stammte wahrscheinlich mehr aus Großmutters Geschichten über ihn, als aus meinen tatsächlichen Begegnungen mit ihm. Sie erzählte mir immer, dass er schöne Dinge geliebt hatte und sehr geschickt mit seinen Händen gewesen war. Er hatte vor dem Krieg bei einem Baron Rothschild gearbeitet, der in Pforzheim seine Firma betrieb. Mein Opa hatte dort nicht nursilberne Teetabletts, sondern auch Schmuck, Schalen, Türbeschläge und vieles andere hergestellt.
    Überall im Haus fanden sich seine Kunstwerke. Ich war fasziniert von den feinen eingeprägten Mustern und dem funkelnden Metall. Es gab natürlich auch eine Schmuckschatulle, in die ich immer heimlich hineinschauen wollte – das Miststück hatte allerdings eine Spieluhr, die losging, sobald man sie aufklappte. Ich wurde also jedes Mal sofort ertappt. Aber die Versuchung war viel zu groß, und Großmutter freute sich auch eigentlich eher, dass ich Großvaters Werk zu würdigen wusste. Die Schmuckstücke waren einfach großartig. Darunter waren Colliers mit riesigen polierten Halbedelsteinen, phantastische Ohrgehänge und wunderbare Ringe. Einen mit einem besonders schönen, dunkel glänzenden Stein hat mir Großmutter irgendwann geschenkt. Er war mir natürlich viel zu groß, nur vom Daumen fiel er nicht sofort wieder runter. Da ich Angst hatte, das wertvolle Stück zu verlieren, bewahrte ich ihn neben meinem Bett auf, wo ich ihn immer sehen konnte.
    Noch stolzer als auf Großvaters Werke war Großmutter auf ihr Hochzeitsfoto. Darauf lächelte Großvaters Chef, der Baron Rothschild, mit in die Kamera – er war einer der beiden Trauzeugen. Das Bild war Mitte der Dreißiger aufgenommen worden, nicht lange bevor die Pforzheimer Firma den Besitzer wechselte. Die meisten Mitglieder der jüdischen Familie Rothschild verließen Deutschland, als es gefährlich wurde. Auch Großvaters Chef hatte sich mit seiner Familie in Sicherheit gebracht.
    Anschließend hatten die Nazis meine Großeltern aufs Korn genommen. Zum einen, weil mein Großvater für eine jüdische Familie gearbeitet hatte. Aber vor allem, weil weder Großmutter noch er, noch ihre Kinder, meine Mutter und ihre Geschwister, »typisch deutsch« aussahen. Blond und blauäugig war bei uns niemand. Auch ich habe das eher südländische oder orientalische Aussehen geerbt, viele hielten mich als Kind für einen Italiener oder Spanier.
    Großmutter hatte dunkelbraune Augen, und ihr ursprünglich dickes dunkles Haar war inzwischen grau und kurz geschnitten, jedoch immer etwas flotter und moderner als das der Nachbarsfrauen. Überhaupt war sie modischer als alle um sie herum. Sie experimentierte, trug Hosen und Blousonjacken oder Etuikleider wie aus einem Modemagazin statt Kittel und bequeme Schuhe. Großmutter kleidete sich selbst im höheren Alter noch immer sehr schick. Ich erinnere mich sehr gut an ein wunderschönes, elegantes weißes Kleid mit einem Muster aus roten Rosen, das sie noch mit weit über achtzig trug. Sie liebte Schmuck, fließende Kleider und Kostüme, ihre Schuhe hatten meistens hohe Absätze. Diese zeitlose Eleganz hob Großmutter aus all den »praktischen« Frauen hervor. Meine Mutter hatte nicht nur Großmutters Aussehen, sondern auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher