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Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler

Titel: Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Autoren: Christiane Stella Harald;Bongertz Glööckler
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Schein, sondern hat tatsächlich die Macht, etwas zu verändern. Es ist ein anderes Gefühl, ob man einen grauen Kittel trägt oder ein edles Kleid. Kleidung ist wie ein Stoff gewordener Gedanke. Und es ist ein Unterschied, ob dieser Gedanke lautet »Ich bin eine Prinzessin und bin es wert, bewundert und auf Händen getragen zu werden«, oder ob der Gedanke ist: »Ich bin ein Aschenputtel und alle dürfen auf mir rumtrampeln.« Darum mochte ich es so, wenn Mama den Arbeitskittel ablegte und sich mit ihrer Freundin herausputzte.
    Völlig unerwartet waren plötzlich die Tage der Spatzenburg gezählt. Ich wusste zwar, dass es dem Pfarrer seit ein paar Monaten nicht so gut ging und dass ein jüngerer Geistlicher aus dem Nachbarort den Gottesdienst übernommen hatte.Aber als Kind nimmt man Dinge hin, wie sie sind. Und wie gut oder schlecht es wirklich um Pfarrer Singer bestellt war, davon hatte ich keine Ahnung. Wir verbrachten unsere Nachmittage spielend wie immer, und die anderen erzählten – auch das war wie immer – nicht viel von ihren Eltern. Doch wenn ich den Vater meiner Freunde früher immerhin ab und zu mal zu Gesicht bekommen hatte, weil er am Gartentisch Zeitung las oder sich Notizen für den Konfirmandenunterricht machte, erschien jetzt nur noch Frau Singer bei uns draußen. Sie brachte uns Süßigkeiten und Limonade oder Kakao und Kuchen. Ich machte mir darüber weiter keine Gedanken, es war so, wie es war.
    Doch als ich an einem der ersten sonnigen Nachmittage im April mit meinen ganzen Sachen herauskam, stand nur Stefan mit seinem verbeulten roten Fahrrad vor der Tür. Er war der Älteste und derjenige, der vorgeschickt wurde. Dass etwas Schlimmes passiert war, war mir sofort klar. Er war sehr blass. Dann sagte er: »Wir können nicht mehr kommen. Papa ist tot. Wir ziehen weg von hier.« Dabei schaute er die ganze Zeit auf den Boden. Anschließend schwang er sich ohne Gruß auf sein Rad und radelte ganz schnell davon. Ich blieb auf der Straße stehen mit meinen Stoffen und Bordüren über dem Arm und sah ihm nach.
    Pfarrer Singer, der nie geraucht hatte, war mit vierzig Jahren an Lungenkrebs gestorben. Frau Singer zog mit den Kindern sehr bald in den nächsten Ort, nach Maulbronn. Das Pfarrhaus wurde von dem jungen Pfarrer übernommen, der Singer im Gottesdienst vertreten hatte und der noch unverheiratet war. Wenn ich in diesem Frühling an der Spatzenburg vorbeilief, zwitscherten dort nur die Spatzen.
    Doch der Kontakt riss nie ab. Schon kurze Zeit nachdem die Familie nach Maulbronn gezogen war, besuchte ich meine Freunde in ihrem neuen Domizil. Dabei erzählte mir Mick,dass seine Mama eine gute Freundin in Paris hatte, und ich bekam große Ohren. Paris! Die Stadt, von der ich schon träumte, seit ich denken konnte – im wahrsten Sinne. Sofort hatte ich einen Plan und marschierte mit den anderen im Schlepptau zu Frau Singer.
    »Können wir nicht mal einen Ausflug nach Paris machen?«
    Sie lächelte so lieb wie immer und antwortete dann: »Das ist eine schöne Idee, Harald, aber die Fahrt dorthin ist teuer für so viele wie uns.«
    »Dann sparen wir eben«, gab ich zurück, und meine Freunde nickten eifrig.
    Von da an legten wir so viel Taschengeld wie möglich beiseite, und nach ein paar Monaten hatten wir – mit der Hilfe von netten Verwandten wie Tante Katharina und meiner Großmutter in Illingen – so viel Geld zusammen, dass wir die Zugfahrt nach Paris selbst bezahlen konnten. Als wir endlich mit unseren Schlafsäcken und Reisetaschen in der Bahn saßen, war ich so aufgeregt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Frau Singers Freundin hatte uns die Wohnung ihres Bruders organisiert, der gerade in Urlaub war – mitten im Quartier Latin.
    Mein Herz klopft bis zum Hals. Wir machen einen Ausflug ins Schloss Versailles. Und bereits als wir den Weg zum Schloss gehen, weiß ich, dass ich das alles schon einmal gesehen habe. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das zu erklären ist. Wir laufen durch den Palast, er kommt mir so klein vor wie unser Gasthof. Und wie ich auch die Zimmer bei uns zu Hause kenne, weiß ich jetzt im Voraus, was im nächsten Raum ist. Ich kann mich nicht zurückhalten.
    »Frau Singer, da in dem nächsten Zimmer, da sind so große runde Fenster.«
    Sie lächelt, aber als wir ihn betreten und sie die Fenster sieht, bleibt sie verdutzt stehen. »Harald, da hast du dich ja richtig vorbereitet.«
    Ich schüttle den Kopf. »Hab ich nicht.«
    Als ich in die Spiegelgalerie komme,
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