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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße
Autoren: Ellen Alpsten
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ihr Gewicht auf
dem Kissen und sehnte sich nach einem dritten Stück Schokolade.
Als Mamii sie ansprach, zuckte sie zusammen.
    »Sag mal, weißt du überhaupt, wie man Halva zubereitet? Ich meine,
unsere
Halva? Es ist ein geheimes Rezept, das nur
die Frauen unserer Familie kennen.«
    Halva schüttelte scheu den Kopf. Es gab einfach so viele
Arten, das süße Konfekt, nach dem sie benannt war, herzustellen.
    Mamii stand auf und zog Halva mit sich. »Das habe ich
mir schon gedacht. Mudi und du, ihr könnt hier warten,
Raya. Lasst euch die Schokolade schmecken. Halva, ich lasse
dich nicht ziehen, ohne dass du weißt, weshalb du heißt, wie
du heißt«, entschied Mamii und Halva folgte ihr durch die
Halle in die Küche des Hauses.
    In der Mitte des langen Raumes stand ein Holztisch, an
dem gut zwanzig Leute ihre Arbeit verrichten konnten. In
dem gusseisernen, vor rund fünfzig Jahren aus England importierten
Ofen, der so aussah, als könne er das ganze Haus
wärmen, brannte ein Feuer. Daneben sah Halva die breite
Arbeitsfläche und ein tiefes Wasserbecken, in dem früher
vor einem Festmahl ein gutes Dutzend Fische auf den Tod
warteten. In dem großen Kamin konnte ein ganzes Rind gebraten
werden und Kupferformen aller Arten und Größen
hingen an Haken von der Decke, doch sie waren mit einer
dicken Staubschicht bedeckt. Es war eine Küche für eine
Heerschar von Bediensteten. Für eine Familie, die die Feste
feierte, wie sie fielen, und nicht für eine Frau, die allein mit
den Schatten ihrer Vergangenheit lebte.
    »Komm«, sagte Mamii zärtlich.
    Halva gingen die Augen über. Auf dem Tisch standen Pakete
mit Sesam, Nelken, Zimt, Pinienkernen und Mandeln
neben einer Schachtel Eier, einem Glas Honig und Flaschen
mit Öl und Rosenwasser. In den meisten Geschäften der
Stadt waren die Regale so leer, dass ihre Mutter sich mit
anderen Frauen um den letzten Laib Brot oder eine Flasche
Milch stritt. Viele Ladeninhaber konnten es sich nicht mehr
leisten, ihr Geschäft zu füllen, denn die Preise konnten sich
zwischen zwei Bestellungen leicht verdoppeln.
    Mamii musste das alles sorgfältig vorbereitet haben! Wo
hatte sie nur all die Köstlichkeiten gefunden? Halva warf
einen Blick durch die offene Tür zur Speisekammer, doch
bis auf einige verstaubte Gläser mit Eingemachtem waren
die Regale leer.
    Mamii folgte ihrem Blick. »Ich wusste doch schon lange,
dass du heute kommst.« Ihre Hand strich über die Pakete.
Die Haut rund um ihre kurz geschnittenen Fingernägel war
rot und rissig. »Was fehlt noch?«
    »Das sieht alles schon so wunderbar aus«, sagte Halva. »Ich
weiß es nicht, Mamii.«
    Mamii lächelte. »Aber ich weiß es«, sagte sie sanft. »Wir
werden uns vielleicht nie wiedersehen, Halva, und darüber
bin ich sehr traurig, auch wenn ich nicht die richtigen Worte
dafür finde.« Sie umarmte ihre Enkelin kurz, ehe sie aus
einer Blechdose eine Lakritzstange nahm. »Lakritz ist es,
was fehlt. So schwarz wie meine Stimmung, wenn ich daran
denke, dass ihr geht, aber so glänzend wie deine Zukunft in
dem fremden Land. So bitter wie meine Tränen bei unserem
Abschied, aber süß wie meine Hoffnung für dich.«
    Sie trennte die Eier und schlug ihr Weiß gleichmäßig zu
Schaum. Ihre Bewegungen flossen aus dem Handgelenk und
schon bald stiegen Berge aus Eischnee in der Schale auf, so
hoch und weiß wie im Winter die Elburs-Berge im Norden
der Stadt. Als Mamii behutsam den Honig darauf tropfen
ließ, gab der Eischnee nicht nach, und schließlich siebte sie
aus einiger Höhe den Sesam darüber.
    »In die Halva muss Luft, sonst wird sie nicht locker, sondern
hart wie Zement«, erklärte Mamii. »Mit schlampig zubereiteter
Halva kannst du jemanden totschlagen!«
    Dann maß sie die notwendigen Gewürze zwischen den
Fingerkuppen ab. Halva sog den reichen Duft der Nelken
und des Zimts ein und ihr wurde auf angenehme Weise
schwindelig.
    Schließlich hob Mamii die gehackten Pinienkerne und die
Mandeln sachte unter. »Geschmeidig, Halva. Es muss immer
alles geschmeidig und fließend sein. Bei Halva kannst und
darfst du nichts erzwingen, genau wie in der Liebe. Du musst
ihr die Luft zum Atmen lassen.«
    Halva wollte von der Masse kosten, doch Mamii hielt ihre
Hand fest. »Tststs. Noch nicht. Verdirb dir nicht die Freude.
Warte, bis die Zeit reif ist. Auch das ist wie in der Liebe.«
    Halva nickte, obwohl sie nicht viel von dem verstanden
hatte, was die Großmutter ihr mit diesen letzten Worten
sagen wollte.
    Mamii verstrich den hellen
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