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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße
Autoren: Ellen Alpsten
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Schultern. »Wir haben unsere
Visa sehr schnell erhalten. Viel schneller als üblich. Bijans
Vetter hat Beziehungen zur deutschen Botschaft hier. Sonst
hätten wir Jahre warten müssen. Vielleicht unser Leben lang. Das konnten wir nicht riskieren.«
    Der Blick aus Mamiis hellen grünen Augen ließ Raya nicht
los. Auch diese Augen hatte sie von Mamii geerbt, dachte
Halva stolz und studierte unauffällig, wie sorgfältig die Großmutter
ihren schwarzen Lidstrich mit Khôl gezogen hatte.
Mit ihren nackten Zehen strich Halva über die feinen bunten
Fäden der vier übereinanderliegenden Teppiche. Es fühlte
sich schön an. Kühl, weich und wertvoll.
    Mamii griff über den Tisch nach Rayas Hand. »Bist du dir
sicher? Ist das wirklich das Richtige?«
    Raya schloss ihre Finger fest um die ihrer Mutter. »Cyrus
sagt Ja.«
    »Cyrus sagt, Cyrus sagt …«, äffte die Großmutter ihre
Tochter nach, verstummte aber, als Raya warnend zischte.
    »Nicht vor den Kindern, Mutter, bitte. Hast du mir nicht
beigebracht, meinen Mann zu ehren, so wie du meinen Vater
geehrt hast?«
    »Das waren andere Zeiten. Und auch ein anderer Mann,
wenn ich wenigstens
das
sagen darf. Seit wann lässt du dich
von Cyrus beeinflussen?«
    Raya schüttelte den Kopf. »Es ist genau umgekehrt und
das weißt du. Cyrus ist ein guter Mann. Ich behandele ihn
nach der Art aller Frauen, indem ich ihm beipflichte und
meine Ideen in die seinen webe, bis er sie für seine eigenen
Vorschläge hält.«
    Mamii kräuselte die Lippen. »Und was erwartet dich in
Deutschland? Hier weiß jeder, wer du bist. Du stammst aus
einer der vierzig Familien, die seit Jahrhunderten die Geschicke
dieses Landes gelenkt haben! Alle, auf die es ankommt,
kennen unseren Namen. Und dort? Dort kannst du als Putzfrau
arbeiten. Und Cyrus …«
    »Cyrus hat hier schon lange keine Karriere mehr. Und nun
müssen wir auch noch um sein Leben fürchten …«
    »Hatte er denn je eine Karriere?«, unterbrach Mamii sie.
    »Unter normalen Umständen hättest du nie, aber auch NIEMALS
einen solchen Mann geheiratet. Vielleicht hätten wir
ihn als Chauffeur eingestellt, aber …«
    »Was hätte ich denn tun sollen? Wer wollte mich denn
noch, nachdem Vater …« Raya stockte. »Und du weißt genau,
wie erfolgreich Cyrus beim Militär war! Es ist ja wohl nicht
seine Schuld, dass er damals im Irakkrieg das Auge verloren
hat. Seit zwanzig Jahren schiebt er nun auf seinem Schreibtisch
in der Amtsstube Papiere von rechts nach links. Weißt
du, was das aus einem Menschen machen kann?« Sie senkte
ihre Stimme. »Genug davon. Ich denke nicht an mich, wenn
wir gehen.«
    »Sondern?«, fragte Mamii herausfordernd.
    »Was glaubst du denn? Ich denke an meine Kinder. Vor
allen Dingen an Mudi.« Raya strich ihrem Sohn durch seine
dichten schwarzen Haare. »Er ist jetzt zehn Jahre alt, schon
fast ein Mann. Meinst du, ich will, dass er einer von
ihnen
wird? Jemand, der Frauen verachtet und jeden hasst, der
anders denkt als er? Der Menschen foltert und tötet? Dem
jede Freude an Musik, an Kunst, an allem Schönen abhandengekommen
ist? Mudi soll nicht einer ihrer Handlanger
werden, einer ihrer Henker. Mein Sohn darf nicht zu einer
Welt beitragen, in der Menschen mit Geist und Seele keinen
Platz haben. Das würde mir das Herz zerreißen. In Deutschland
kann er zur Schule gehen und studieren.«
    »Hier kann er genauso gut studieren!«, mahnte Mamii.
    Raya fuhr auf. »Und was dann? Fast ein Viertel aller Teheraner
ist arbeitslos. Auf dem Land ist es sogar die Hälfte
aller Menschen! Die Hälfte, Mutter! Und was ist, wenn man
eine Arbeit findet? Dann kann man es sich doch trotzdem
nicht leisten, eine Familie zu gründen – geschweige denn,
in einem eigenen Haus zu leben. Weißt du, dass sich vergangene
Woche auch der zweite Sohn unserer Nachbarn
umgebracht hat? Seine Lage war hoffnungslos, schrieb er in
seinem Abschiedsbrief.« Raya schüttelte den Kopf. »Nein.
Mudi soll Anwalt werden oder sogar Richter wie Papa. Er
kann … frei sein. Wirklich
frei.
Freiheit ist mit nichts aufzuwiegen.
« Sie sah wieder auf ihren nackten Ringfinger und
zuckte die Achseln.
    Mamiis Augen füllten sich mit Tränen, doch sie nickte.
    »Was will Cyrus in Deutschland tun?«
    »Vielleicht eröffnen wir ein Café«, sagte Raya. Halva spitzte
die Ohren.
    »Ein Café?« Die Großmutter spuckte das Wort geradezu
aus, ehe sie aufstand, aus dem Raum ging und dann mit
einem Tablett mit einer Kanne Tee, vier Schalen und einem
Teller mit Zuckerstücken darauf
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