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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
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wo ich das Packerl gelassen hab, und ich hab irgendwas dahergestottert: Dass es nur ein blöder Scherz war, von einem Schulkollegen. Und dass ich gleich ins Bett gehe, weil mir nicht gut ist, von den Lachssteaks wahrscheinlich …
    In derselben Nacht bin ich aus meinem Zimmer geschlichen und noch einmal runter zum Kanal gegangen. Es hat wieder kräftig geschneit. Hinter den Büschen hab ich mit beiden Händen den Schnee weggeschaufelt, bis ich auf die nackte Erde gestoßen bin. Aber nichts. Keine Leiche. Der Hübner war weg.
    Ich bin den Rest der Nacht wach gelegen. Ich hab sogar Hoffnung geschöpft. Hab mir gedacht, vielleicht ist er ja gar nicht tot. Vielleicht war er nur ohnmächtig. Vielleicht hat er sich irgendwo ein Kaninchenauge besorgt, um mir Angst einzujagen, der kleine Stinker. Aber am nächsten Tag ist es in der Zeitung gestanden. Eine Annonce von seinen Eltern, mit einem großen Foto vom Hübner. Dass er seit drei Tagen abgängig ist, und dass es eine Belohnung für Hinweise gibt, du weißt schon …
    Mein Vater hat in seinem Büro einen Tresor gehabt, so einen alten schwarzen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und ich hab die Kombination gekannt. Mehr brauch ich dir nicht zu sagen, Ferdl. Ja, ich hab’s meinem Vater aus dem Safe gestohlen, das Geld. Hab’s in einen Plastiksack gepackt und am späten Nachmittag auf der Böschung deponiert. Hab mich dann hinter einem Baum versteckt und gewartet. Irgendwann ist die Dämmerung hereingebrochen und die Laternen sind angegangen. Aber weißt du, wo, Ferdl? Weißt du, wo sie aufgeleuchtet haben? Drüben, am anderen Ufer. Auf meiner Seite ist es dunkel geblieben. Im Umkreis von zwei-, dreihundert Metern waren alle Laternen kaputtgeschossen. Da hat einer eine sichere Hand gehabt. Und ein gutes Auge …
    Ich bin lange dagestanden und hab überlegt, was ich tun soll. Irgendwann hab ich mich überwunden. Bin aus meinem Versteck geschlichen und hab nachgeschaut. Aber das Geld war schon weg.
    Lass uns auf meinen Vater trinken, Ferdl …
    Er war schon ein feiner Kerl, mein Alter … Natürlich hat er es bemerkt, dass ihn sein eigener Sohn bestohlen hat. Und es hat ihm, glaub ich, das Herz gebrochen. Er hat kein Wort gesagt, er hat nicht einmal die Kombination von dem Tresor geändert. Er hat mich nur immer traurig angeschaut. Ich weiß nicht, wie oft ich kurz davor war, ihm alles zu beichten, aber dann … Ich hab mir gedacht, wenn er die Sache mit dem Hübner erfährt, dann ist das noch viel schlimmer für ihn.
    Der Hübner ist nicht wieder aufgetaucht. Im Jänner haben’s ihm zu Ehren einen Gottesdienst bei uns in der Schule abgehalten, mit Fürbitten und so. Kannst dir vorstellen … Im Februar noch einmal. Und dann ist er langsam in Vergessenheit geraten. Zugegeben, ich hab mir auch gedacht, dass vielleicht langsam Gras über die Sache wächst. In den ersten Monaten war ich noch ein einziges Nervenbündel, blass und zittrig. Dann ist es plötzlich wärmer geworden, und über Nacht ist der Schnee geschmolzen. Ich bin fast durchgedreht vor Angst, sag ich dir. Aber nichts. Man hat keine Leiche gefunden, weder am Kanal noch sonst wo. Über den Sommer war ich mit meinen Eltern in der Schweiz, wir haben dort so ein Chalet gehabt, in den Bergen. Da hab ich ein bissel Ruhe gefunden, hab mich erholt. Ich hab immer öfter geglaubt, es war alles nur ein böser Traum …
    Prost, Ferdl. Auf dich. Du warst immer schon der Gescheitere von uns beiden. Das Geld hab zwar ich gehabt, aber du das Talent. Ich will gar nicht wissen, wie du das geschafft hast damals. Ein Lehrbub, knappe fünfzehn, der ganz allein ein Geschäft führen muss – und der auch noch etwas macht daraus. Unglaublich, Ferdl. Ich bewundere dich, ehrlich … Aber ich frag mich auch, wie wir zwei jetzt dastehen würden, wenn die G’schicht mit dem Hübner damals nicht mir, sondern dir passiert wär. Dann wär’s wahrscheinlich ich, der dich heut auf alles einlädt … Sag, krieg ich noch eines?
    Den folgenden Winter haben wir wieder in der Stadt verbracht, wegen dem schwachen Herzen von meinem Vater. Er war damals schon in Behandlung. Keine Anstrengungen, keine Aufregungen, hat der Arzt gesagt. Meine Mutter und ich, wir haben unser Bestes getan. Haben alle Probleme von ihm ferngehalten. Aber dann ist das nächste Weihnachtsfest gekommen …
    Weihnachten … Ich kann’s kaum aussprechen, dieses Wort. Warum? Du fragst noch, warum?
    Diesmal ist das Packerl direkt am Christbaum gehängt. Ich hab’s sofort erkannt:
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