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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter
Autoren: Hölderlin
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unwissentlich nachahmt, hören Sie zu, da ist einer frisch auf der Schule, einer namens Schelling, der kommt aus Denkendorf und ist mit dem Diakon Köstlin verwandt, bei dem er auch wohnt, dieser Schelling ist verrückt, überkandidelt, der weiß viel mehr als jeder von uns und bildet sich darauf auch etwas ein, stolziert herum, preist sich selber, also der hat sich mir angeschlossen, und wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, Mamma, brächte ich ihn manchmal mit nach Haus. Der Herr Präzeptor hat dazu geraten, der Herr Diakon hält ihn schlichtweg für ein Wundertier.
    Schelling zog die Wut der Mitschüler geradezu auf sich. Mit Anmaßung schien er sich zu schützen, die Furcht des Neulings verbergen zu wollen. In den Freizeiten hielt er sich abseits, den Philosophen spielend. Hölderlin war er gleich aufgefallen. Er spürte die Angst, die Einsamkeit. Aber keiner wünschte mit Schelling umzugehen, auchwenn die Lehrer dazu aufforderten. Der ist nicht bei Trost. Im Unterricht aber brillierte er. Er war allen Gleichaltrigen überlegen, wurde schon nach kurzer Zeit versetzt, provozierte um so mehr.
    Ein Neunmalkluger.
    Ein Spinner.
    Sie übergingen ihn.
    Bis sie das Schweigen nicht mehr ertrugen und es mit einem handfesten Angriff brachen. Sie umringten den Hochmütigen, schlugen ihn. Da griff »der Hölder« ein. Er stellte sich »gegen die andern, den so viel Jüngern zu mißhandeln geneigten Schüler«. Seid ihr toll? Wenn der Präzeptor das merkt. Der ist mit Schellings Vater befreundet.
    Des isch uns egal.
    Der Altkluge schließt sich ihm an, redet zum erstenmal nicht nur von sich selbst, hört zu, erkundigt sich. Des Gespann, sagt man von ihnen, d’r Kloi ond d’r Lang. Johanna wird sich nie ganz mit Schelling anfreunden können, er komme ihr vor wie ein Greis, nichts Kindliches sei an ihm. Hölderlin merkt den Altersunterschied nicht, wenn sie über die Götter Griechenlands reden, von den Landschaften Homers träumen, durch das Rom Neros spazieren – zwei kundige Fremde.
    Weshalb gibst du dich dauernd mit dem Kerl ab?
    Weil er Schutz braucht; er ist so allein.
    Du muscht di net immer aufpfludern!
    Aber wenn di mi auslachet!
    Der Umgang mit Hölderlin dämpfte zwar das Kind, sein Wissensdurst blieb dennoch entsetzlich, und nach zwei Jahren erklärte sich Kraz außerstande, ihm Weiteres beizubringen.
    Schelling verließ Nürtingen; Hölderlin wird ihm auf dem Stift in Tübingen wiederbegegnen.
    Bleib doch, sei nicht so unersättlich.
    Anders macht’s mir keinen Spaß.
    Der Vater holt den Buben, stolz, machte seine Honneurs bei der Kammerrätin Gok, gemeinsam mit Köstlin, rühmte Wein und Most, und als sie durchs Neckartor fuhren, lief Hölderlin ihnen eine Weile hinterher, dem kleinen Schelling zuwinkend, als wäre er schon ein Freund.
    Es dauert nicht mehr lange, und er wird sich von der Mutter, den Geschwistern, dem Haus verabschieden.
    Er hatte die dritte Prüfung des Landexamens in Stuttgart bestanden. Eine vierte lag noch vor ihm, beunruhigte ihn freilich nicht. Er war jetzt nicht mehr Petent, er war Exspektant. Köstlin und Kraz erwarteten das Beste, während die Mutter sich und ihn immer wieder fragte, ob’s denn ausreiche, ob er den Forderungen der gelehrten Herren genüge. Kurz vor der Prüfung, dem Tag vor der Abreise nach Stuttgart, konnte er es vor innerer Spannung kaum mehr aushalten, und Köstlin, dem es sonst immer gelang, ihn zu bändigen, überließ ihn nachsichtig der Unruhe.
    Ich versteh’s. Das legt sich wieder.
    Schon im Reisewagen war er wieder ruhig. In ihm befanden sich einige Prüflinge mit ihren Eltern und Kraz, der sie begleitete, sie ab und zu mahnte, den Ruf der Schule zu bestätigen, nun komme es darauf an, bei der zweiten Prüfung hätten der Faber und der Rau sich nicht sonderlich ausgezeichnet, hätten mittelmäßige Arbeiten in Latein und Griechisch geliefert. Sie hatten ihren Spaß; alle, bis auf Bilfinger, kannten die Reise, die folgende Prozedur, und bevor die Straße nach Wolfschlugen anstieg, sprangen die Jungen schon ausdem Wagen, schoben, halfen den zerrenden Pferden, vergaßen, was sie erwartete. Es war der 8. September 1783. Drei Prüfungstage lagen vor ihnen. Prüfungsängste sind vergleichbar. Ich sage mir, dem einen oder anderen war fast übel, und es gab hysterische Ausbrüche. Er sitzt unter seinen Schulfreunden. Wen hat er neben sich? Vielleicht zur Rechten Kraz, weil er ihn schätzt, ihm als Hauslehrer vertraut ist; oder doch Johanna? Zur Linken der neue
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