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Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise
Autoren: Claudia_Winter
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Unterton, den ich nicht einordnen kann. Er zieht die Nase kraus, lässt die Sonnenbrille auf seinen Nasenrücken zurückfallen und steigt wortlos die Freitreppe hinauf. Ich stolpere hinterher, peinlich berührt. Und mit verdammt schlechtem Gewissen.
    Die Bar befindet sich im ersten Stock, durch eine Milchglasschwingtür vom Festsaal getrennt. Schätze, der Raum hat ursprünglich als Kamin- und Raucherzimmer gedient. Bewundernd betrachte ich den prunkvollen Ofen und die Ledersessel mit gedrechselten Armlehnen. Obwohl die moderne Edelstahltheke und die Pop-Art-Drucke an der Wand neben den antiken Stücken fehl am Platz wirken, fühle ich mich sofort heimisch. Ich besitze eine Schwäche für Gegenstände, die Geschichten erzählen. Im Saal schaltet jemand die Musikanlage an und der Boden beginnt, zu vibrieren. Gloria Gaynor. Typisch Britta halt.
    „Finden Sie sich hier zurecht? Fehlt irgendetwas? Nach dem Sektempfang und den üblichen Reden wird drüben getanzt. Klingt, als ob ihre Freundin schon mal die Parkettversiegelung testet.“
    „Sie ist verheiratet. Glücklich!“ Ich komme mir mächtig blöd vor, wenn ich mir so zuhöre. Timon lacht auf und kurbelt die Jalousie hoch. Das Sonnenlicht flutet über eine Tischreihe mit bodenlangen Brokat-Tischdecken, auf fingerabdruckfreie Sektkühler und funkelndes Besteck.
    „Wäre nett, wenn Sie ein paar Freiwillige auftreiben könnten, die den Lieferwagen ausladen“, murmele ich, seinen prüfenden Blick meidend. Stattdessen verstecke ich rasch den Kopf im nächstbesten Kühlschrank.
    „Wunderbar! Sie haben sogar an Tomatensaft gedacht!“ Meine Stimme klingt nicht nur dumpf, sondern auch verlegen.
    „Meine Großmutter würde für eine gute Bloody Mary sterben“, antwortet Timon trocken. „Wir sind eine merkwürdige Familie. Wenn Sie Pech haben, werden Sie einige meiner Verwandten noch besser kennenlernen.“
    Mein Lachen verursacht Atemwölkchen. Ganz schön kalt hier drin. Gottlob erspart Timon mir den nächsten verbalen Schnitzer: Als ich meine Nase aus der Kühlschrankkälte erlöse, ist Frau Lohrischs Enkel verschwunden.
     
    Ich schaue sprachlos auf die Kühlboxen und anschließend auf meine Armbanduhr. Nicht weniger als sieben Mann (der Gärtner, der Hausmeister, der Kutscher, der Discjockey und drei rüschenbeschürzte Damen vom Jobservice) haben innerhalb einer Viertelstunde den gesamten Lieferwagen entladen.
    Dank Timon sind wir gut in der Zeit, in dreißig Minuten trudeln die Gäste vom Standesamt ein, in einer Stunde hält der Brautvater die Eröffnungsrede. Entweder fürchten sich sämtliche Angestellte des Hauses Warndorf vor dem Albinomann, was mich nicht wunderte, oder er ist leider ein Organisationstalent.
    „Wow!“
    Julia betritt mit herabgeklapptem Kiefer das Kaminzimmer, mehrere Pappschachteln balancierend. Ich deute hinter mich, in Gedanken noch bei Timon. Als ich vorhin kurz auf der Toilette war, habe ich gesehen, dass er seinen Posten an der Balustrade der Freitreppe bezogen hat, als ob er Wache schieben müsse. Komischer Typ. Und echt gruselig, diese Augen.
    „Stell die Torten in die Vitrine. Hast du ihn gesehen?“
    Julia stellt ihre Last auf der Theke ab, öffnet die erstbeste Schachtel und beginnt sofort, Helgas Zitronentörtchen vom Schutzpapier zu befreien.
    „Wen soll ich gesehen haben?“
    Ihre Stimme klingt merkwürdig. Hell und irgendwie zitterig, als löse meine Frage Alarmbereitschaft bei ihr aus. Ich lupfe die Haube der Bratenplatte.
    „Wusstest du, dass Frau Lohrischs Enkel ein ...“ Fast hätte ich aufgelacht. Offenbar ist das Unterlegpapier ausgegangen, also hat Helga den Kalbsbraten kurzerhand auf einer Weihnachtsfolie angerichtet. Mit lauter nackten Putten drauf.
    „Du Katta?“
    „Hm?“ Gar nicht so leicht, die hauchdünnen Kalbscheiben anzuheben, ohne das Fleisch zu beschädigen.
    „Ich will dich nicht aus dem Konzept bringen ... Dieser Auftrag bedeutet schließlich eine Menge für uns. Aber du bist ja nicht nur meine Chefin, sondern auch meine Freundin, deshalb ...“
    „Julia, was ist los?“
    „Ich bin wirklich nicht sicher ...“
    „JULIA!“
    „Ich glaube, Felix ist hier.“
    Mein Herz macht einen Satz, die Vorlegegabel reißt einen tiefen Krater in den Kalbscarppacio-Fächer und trennt elegant einen Pausbacken-Kopf vom fettleibigen Engelsbäuchlein. Na Prima. Das hat mir gerade noch gefehlt.

Goldener Schein
     
    Um 1500 besann sich der italienische Adel des byzantinischen Brauchs, Speisen mit Blattgold zu
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