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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian
Autoren: Frritz Mühlenweg
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zurückblätterte. Als
     er gefunden hatte, was er suchte, glättete er das Papier und las: »Am dreizehnten Tag des dritten Monds: Telegramm aus Hsing-Hsing-Hsia.
     ›Dampignak wurde vor drei Tagen von einem ausgestoßenen Mitglied der Bande mit Namen Juchi erschossen. Dampignaks Horde, die
     im Aufbruch begriffen war, ist uneins geworden und löst sich auf.‹«
    Der Marschall hob den Blick. Er schloss das Buch, und Christian sagte: »Ich erlaube mir zu fragen, ob dieses   …«, aber dann erschrak er über sein vorschnelles Reden und wurde rot. »Ich bitte tausendmal um Vergebung«, sagte er zerknirscht.
    »Es ist mein Tagebuch«, sagte Yang, »wolltest du das wissen?«
    »Vergebung, Exzellenz«, warf Großer-Tiger ein, »das kommt, weil mein Freund Kompass-Berg auch ein Tagebuch schreibt.«
    »Er tut gut daran«, erwiderte Yang. »In jedem Ding steckt was, das wert ist, betrachtet zu werden. Ich begann zu schreiben,
     als ich aus der Enge von Yünan in die Weite von Sinkiang kam. Am Ende von zweiunddreißig Tagebüchern, die hier stehen, erkannte
     ich, dass die Enge blieb. Es wäre unerheblich, hätte ich sie noch einmal mit einer andern vertauscht. Auch das Reichder Mitte ist zwischen den vier Meeren wie ein Reiskorn im Speicher.«
    Christian und Großer-Tiger betrachteten die Tagebücher des Marschalls, die alle gleich gebunden waren, und sie dachten daran,
     dass auch ihre Namen darin standen. Also waren sie in der Geschichte Sinkiangs vermerkt, und das war eine hohe Ehre.
    »Wir wollen euern Eltern ein Telegramm senden«, schlug Yang vor.
    »Wir bitten darum«, sagte Christian.
    »Es wäre für unsere Heimstatt eine Beruhigung«, sagte Großer-Tiger.
    Da nahm Yang ein Blatt, feuchtete Tusche an und schrieb, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, mit festem Pinsel: »Kompass-Berg
     und Großer-Tiger zu meiner unaussprechlichen Freude gesund bei mir eingetroffen. Abreise übermorgen. Ankunft in Peking am
     Monatsende. Yang-Tsen-Hsin, Marschall von China.«
    »Ich bedaure«, sprach Yang, »dass ich euch nur einen Tag bei mir behalten darf; allein die Rücksicht auf eure Eltern fordert,
     dass ich mich bescheide. Bringt das Telegramm zur Station; ich gebe euch einen Führer mit.«
    Als sie aus dem Arbeitszimmer Yangs unter das Vordach traten, brachte ein Diener drei Ponies, und Yang sagte: »Morgen früh,
     wenn ihr genug geschlafen habt, kommt zu mir. Ihr wisst jetzt, wo ihr mich findet.«
    Er sah zu, wie Christian und Großer-Tiger in den Sattel stiegen. Der Diener ritt voraus, der Pudel sprang hinterdrein und
     bellte, und Yang kehrte in das Zimmer und an seinen Schreibtisch zurück. Er schrieb lange, er gab Anordnungen, er sandte zum
     russischen Konsulat und zum Pater Hillbrenner, und er empfing Kao-Scheng und Glück. Am Abend schrieb er in sein Tagebuch,
     und Christian schrieb auch:
    »Heute ist der fünfzehnte Tag des dritten Monds, und wir sind in Ti-Hua-Fu, das Urumtschi heißt. Die hohen Schneeberge sind
     in der Nähe, und deswegen ist es kälter als anderswo. Aber das macht wenig aus, weil es Kohle gibt, die nichts kostet. Manbraucht nicht erst in die Erde kriechen, sondern man nimmt einen Handwagen und eine Spitzhacke. Wenn man lange genug gegangen
     ist, kommt man dahin, wo man die Kohle loshackt. Nachher fährt man die Brocken heim und hat warm. Wir sind von einer Regimentsmusik
     empfangen worden, und eine Menge würdiger Herren war auch da. Sie waren alle sehr freundlich, aber der Pater Hillbrenner hat
     der Musik angeschafft, dass sie ›Hänschen klein‹, spielen muss, und Großer-Tiger verstand nicht, was es ist. Jetzt versteht
     er es, denn ich habe es ihm erklärt, und dass es ein Spaß ist. Großer-Tiger freute sich, und er meint, wir müssen nachdenken,
     wie man dem Pater Hillbrenner auch ein Vergnügen bereitet, damit er sieht, wie höflich wir sind.
    Der Marschall Yang heißt hier Tupan, und weil er uns gern leiden mag, ist es ihm leid, dass wir nicht länger bei ihm bleiben.
     Wir sind traurig, dass unser Bruder Dampignak nicht mehr lebt, und Mondschein wusste schon, warum er sagte, dass ein Räuber,
     der keine Langmut hat, nicht taugt, sondern ein schlechter Kerl ist.
    Am Nachmittag haben wir ein Telegramm fortgeschickt, dass man sich unsertwegen keine Sorgen machen muss. Wir sind selbst zur
     Station geritten, und der Beamte hat die andern Telegramme auf die Seite geschoben, als er die Unterschrift des alten Gebieters
     sah. ›Es ist ein Regierungstelegramm‹, hat er gesagt.
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