Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grippe

Grippe

Titel: Grippe
Autoren: Wayne Simmons.original
Vom Netzwerk:
Norman aus der Ecke des Zimmers. Selbst die Frau war fassungslos und wich von ihrem unerwartet wiederauferstandenen Gatten zurück, als sei er ein böser Geist – und ehrlich gesagt sah er auch danach aus.
    »Halt«, sprach Norman, indem er selbst einen Schritt zurücktrat. »Frank … Frank, sind Sie –«
    »Er war doch tot!«, schrie seine Frau und klammerte sich an George. »Ich bin Krankenschwester gewesen und muss es wissen, verdammt! Mein Frank war tot!«
    Jetzt stand er jedoch da. Wie eine klischeehafte Figur aus einem zweitklassigen Horrorfilm, als genieße er die Aufmerksamkeit eines Publikums, eingestimmt von pompöser Titelmusik. Dann bewegte er sich humpelnd vorwärts, was so unbeholfen aussah, als müsse er das Gehen erst wieder lernen. Dabei röchelte er aus tiefster Kehle, während sich seine Brust weder hob noch senkte, denn er atmete nicht. George konnte der Frau nur zustimmen: Vor ihm zuckelte ein toter Mann.
    Als die Wohnungstür aufflog, drehte er sich wieder um. Er hob die Hand, hatte aber kaum Zeit, einen Mucks von sich zu geben, da sie sich bereits auf ihn stürzten. Norman hatte seinen Knüppel gezogen und drosch wahllos auf sie ein. Die Alte fiel hin, ließ ihren toten Frank jedoch nicht aus den Augen. George verwarnte die Meute wiederholt, aber vergeblich: Niemand hörte zu. Ihnen schien alles egal zu sein.
    Just in diesem Moment verlor George die Beherrschung. Sein Geduldsfaden riss wie ein ausgeleiertes Gummiband. Er dachte nicht mehr darüber nach, was er tat. Nahezu reflexartig handelte er: Erst draufschlagen, dann fragen, so etwas in der Art. Der Mann im Fernsehen ereiferte sich weiter und wollte immer noch wissen, was unternommen wurde. George wusste es genau.
    Und er tat es.
    Er zückte seine Waffe. Zuerst zielte er auf die vorlaute Ban-shee, die die Rotte anführte. Das Filmen hatte sie aufgegeben, doch dafür kreischte sie und warf ihm, so schien es, wieder unflätige Ausdrücke an den Kopf.
    Er drückte ab.

1

    Sechs Wochen später

    Geri stand starr wie eine Statue mit ihrer kleinen Einkaufstasche über dem Kopf da.
    Sie befand sich auf Belfasts Dublin Road, einem vormals außergewöhnlich belebten Teil der Stadt, die nunmehr jedoch eher einem ausgestorbenen Wüstenkaff glich. Papier wehte wie Herbstlaub durch die Straßen, tänzelte geradezu im leichten Wind. Schaufensterscheiben lagen zerbrochen auf den Gehwegen, und winzige Glassplitter übersäten wie kristalline Brotkrumen den Asphalt. Ein blutiger Handabdruck prangte an einer Mauer in der Nähe, ein leuchtend rotes Anarchiezeichen rebellisch an einer anderen. Die schlampig dahingeklatschte Farbe überdeckte teilweise einen Informationsaushang, auf dem sich die Regierung im strengen Ton an die Bevölkerung wandte. Andere Poster kündigten auf weniger verbindliche Weise schlicht Konzerte an, die niemals stattfinden würden, da das poten-
tielle Publikum wohl weitgehend tot war. Eine Reihe stehengelassener Autos säumte den Straßenrand.
    Man sah keine Leichen oder Hinweise auf den Tod, zumindest im herkömmlichen Sinn.
    Eine sanfte Bö kühlte Geris Gesicht, wobei ihr eine rote Haarsträhne ins Auge fiel. Mund und Nase fühlten sich feuchtkalt an, doch sie wagte es nicht, sich zu rühren. Geri stand vor einem kleinen Supermarkt und starrte in die Augen eines Mannes mit Sturmhaube, der eine Waffe auf sie richtete.
    »Hast du geniest, oder was?«, fragte er.
    »Ja, a-aber das ist nur Heuschnupfen«, stammelte sie.
    Ihre Hände zitterten, und eine der vielen Konservendosen rutschte aus der weißen Tasche von Tesco. Wie sie über den Boden kullerte, wirkte es fast vermessen.
    »Dummes Geschwätz«, erwiderte der Maskierte. Er hielt Geri unermüdlich in Schach, und seine Hände waren völlig ruhig.
    »Ich h-hab jedes Jahr damit z-zu tun«, behauptete sie und versuchte dabei, nicht in Tränen auszubrechen.
    »Die beschissene Grippe hast du!«, schnauzte er. Der Wollüberzug dämpfte die Worte nur ein wenig. Er war auf der Hut und hatte die Augen weit aufgerissen, sah aber müde aus und verwahrlost, obwohl sie in den letzten Tagen kaum jemanden gesehen hatte, der so gesund zu sein schien.
    »Hab ich nicht!«, quengelte sie, als sie den Heulkrampf nicht mehr zurückhalten konnte. Ihre laute Stimme schallte auf krasse Weise über die leergefegte Straße, nahezu so respektlos wie Gelächter auf einer Beerdigung. Frech. Aufmüpfig. »Ich leide schon seit meiner Kindheit unter Heuschnupfen! Nehme Medikamente deswegen. Sie … sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher