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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts
Autoren: Gesa Schwartz
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verfüge, dass keine Erinnerungslöschung die Ereignisse der letzten Wochen in den Gedanken der Menschen auf diesem Platz verschleiern wird. Diese Menschen haben heute Nacht bewiesen, dass sie all das sind, was wir für eine geeinte Welt brauchen und noch mehr. Sie sollen in der Gewissheit weiterleben, dass sie nicht allein sind und dass eines Tages die Zeit anbrechen wird, da auch die übrige Menschenwelt von uns erfahren wird, weil sie gelernt hat, uns zu erkennen, ohne uns zu sehen. Diese Nacht kann der erste Schritt sein in eine gemeinsame Zukunft — ob sie es ist, liegt bei uns allen. Lasst uns diese Nacht als Geheimnis zwischen uns bewahren — als Blume aus Finsternis, die eines Tages im Licht der Welt erblühen wird, einer Welt, die uns allen gehört und in der wir nebeneinander leben können als das, was wir sind: Anderwesen und Menschen.«
    Die Stille um ihn herum war atemlos. Die Menschen saßen so still, dass sie in ihrer Reglosigkeit den Schattenflüglern hätten Konkurrenz machen können. Grim sah die steinernen Fassaden der Gargoyles, er spürte die Blicke der Anderwesen, die abwartend auf Mourier ruhten. Der steinerne Löwe starrte mit finsterer Miene zu Grim herüber, der seine Worte aus der Senatssitzung in diesem Moment so deutlich hörte, als würde Mourier sie noch einmal aussprechen:
Hätten die Sterblichen in der Vergangenheit von unserer Existenz erfahren — wir wären allesamt vernichtet worden.
Der Löwe konnte alles verhindern, das war Grim klar. Mourier war der König der Anderwelt — sein Wort stand über seinem. Grim hatte hoch gepokert, und nun, da er die Schatten in Mouriers Augen sah, wurde ihm kalt.
    Da bewegte sich etwas in den Reihen der Menschen, die ebenso gebannt wie die Anderwesen zu Mourier hinüberschauten. Ein Junge trat aus der Menge hervor, ein Junge mit pechschwarzem Haar und hellen, blauen Augen. Carven sah Grim nicht an. Sein Blick war mit all seiner Kraft auf Mourier gerichtet, den mächtigen steinernen Löwen, der dem Jungen mit einem einzigen Schlag seiner Pranke den Tod bringen konnte. Langsam trat Carven auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. Unsicher neigte er den Kopf zu einer Verbeugung, streckte die Hand aus — und erschuf einen Samen aus schwarzem Nebel auf seiner Hand. Lautlos flüsterte er den Zauber, und da brach ein goldener Spross aus dem Samen, der rasch zu einer zarten, blau schimmernden Blume heranwuchs. Mit leisem Ton öffnete sie ihre Knospe und drehte sich Mourier zu, als wäre der Löwe die Sonne. Sie ähnelte einer Bhor Lhelyn — einer Blume der Wünsche. Wortlos hielt Carven sie Mourier entgegen, und für einen Moment flammte ihr Schein auf beiden Gesichtern.
    Wie zwei Seiten einer Münze,
schoss es Grim durch den Kopf. Er spürte Mias Hand in seiner Klaue, doch er konnte sie nicht ansehen. Wie gebannt schaute er in Mouriers steinernes Gesicht, sah, wie der Löwe langsam den Kopf neigte — und die Blume mit einer winzigen Bewegung seiner Pranke annahm.
    Der Jubel war so ohrenbetäubend, dass Grim zusammenfuhr. Die Menschen kamen auf die Beine, Gargoyles, Elfen und übrige Anderwesen mischten sich unter sie, und steinernes Gelächter vereinte sich mit den vielfarbigen Stimmen der Menschen. Nur einmal hatte Grim etwas Ähnliches gesehen — damals in der Vision der Freien, jener Gargoyles und Menschen, die zu allen Zeiten zusammengelebt und dafür den Tod in Kauf genommen hatten.
    Er wusste, dass diese Nacht enden würde. Er wusste, dass nicht alle Erinnerungslöschungen hinsichtlich der Ereignisse der letzten Zeit zu vermeiden waren, denn der Schutz der Anderwelt war ebenso von Bedeutung wie der Schutz der Menschen. Aber er wusste auch, dass er diese Nacht nicht vergessen würde — ebenso wenig wie Jakob und Carven, die mit dem König Ghrogonias sprachen wie mit einem alten Freund, oder Tomkin, der ein farbenprächtiges Lied über dem Platz erklingen ließ. Grim hatte den Glanz in Mouriers Augen gesehen, als Carven ihm die Blume gegeben hatte, und die Stimmen der Menschen und Anderwesen klangen in ihm wider — Stimmen, die in dieser Nacht keine Grenzen kannten.
    Mia lehnte sich an ihn, ihr Herz schlug gegen seine Rippen wie sein eigenes. Remis schwirrte von seiner Schulter, verlegen wischte er sich über die Augen und lächelte, als er zu Theryon hinaufsah. Grim folgte seinem Blick.
    Theryon hatte sich auf dem Grab erhoben. Ein goldener Schleier löste sich von seinem Körper und verwandelte sich in die Gestalt einer Frau mit
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