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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Autoren: Bernd Köstering
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Miteinander
entschlossen. Vielleicht sogar zu einem liebevollen Miteinander.
    Als hätte er gerade noch gefehlt,
stand plötzlich Dr. Gründlich im Flur. »Ich wollte nur mal kurz nach meiner Patientin
schauen!« Man sah ihm die Erschöpfung von seinem Halbmarathon noch an.
    »Nun gehen Sie erst mal nach Hause«,
sagte Hanna, »Mutter geht es gut.« Er nickte dankbar. Schnell zog ich Dr. Gründlich
in die Küche und schloss die Tür. Er verpasste mir zwei Spritzen. Die reichen bis
morgen, meinte er, dann müsse ich aber ins Krankenhaus zum Röntgen. Er verabschiedete
sich.
    Hanna kam zu mir. »Hat er nach deinem
Arm gesehen?«
    »Ja, alles klar.«
    »Schmerzen?«
    »Geht so.« Ich zog sie neben mich
auf die Eckbank. »Hanna, es ist viel passiert heute. Du hattest recht, wir haben
das Schwabe-Dokument in Jena gefunden. Und wir haben den Mörder. Es ist Grüner.
Rico Grüner.«
    Sie sah mich mit großen Augen an.
»Rico Grüner? Aber warum …«
    »Ich erkläre dir alles später, ich
muss noch mal weg.«
    »Ist jetzt alles vorbei?«
    »Für uns ja.«
    »Was heißt das?«
    »Benno – er ist schwer verletzt.«
    »Oh, mein Gott!« Ich erklärte ihr
in kurzen Sätzen, was passiert war, die Bonhoefferstraße ließ ich aus.
    »Soll ich zu Benno ins Krankenhaus?
Jetzt kann ich ja wieder aus dem Haus, Mutter geht es besser und Karola ist wieder
da …«
    »Hanna, bitte, Sophie ist bei ihm
und Tante Gesa, mehr geht derzeit nicht.«
    »So schlimm?«
    »Ja, so schlimm.« Ich kniff die
Lippen zusammen. »Ich muss leider wieder los …«
    »Hendrik?«
    »Tut mir leid, Siggi braucht mich
für die Vernehmung, der Kerl muss hinter Gitter!«
    Sie nickte. Die Tränen standen ihr
in den Augen. Ich verließ Büchlers Haus durch den Garten.
     
    Als ich über den Flur des K1 ging, kam Meininger aus seinem Büro heraus:
»Herr Wilmut, Sabine Grüner ist hier. Ich habe sie vernommen, sie möchte kurz mit
Ihnen sprechen.«
    Sabine Grüner war mir sofort sympathisch.
Grüne Augen, ein offener Blick, gekennzeichnet von den Ereignissen der letzten Tage,
tiefe Augenringe. Sie trug eine hellblaue Sommerbluse und Jeans, ihre Beine waren
dünn und unbeweglich. Sie drehte den Rollstuhl zur Tür, als ich eintrat. Ich gab
ihr wortlos die Hand und zog mir einen Stuhl heran. Sie trug eine Perlenkette.
    »Herr Wilmut, es fällt mir sehr
schwer, mit Ihnen zu reden …«, begann sie.
    »Sie müssen das nicht.«
    »Möglich, aber ich möchte es. Es
gibt Dinge, vor denen kann man nicht weglaufen.« Sie ließ die rechte Bremse ihres
Rollstuhls nervös auf- und zuschnappen. »Mein Bruder hat Ihnen großes Leid zugefügt.
Ihnen und Frau Büchler. So etwas kann man nicht entschuldigen, ich möchte Ihnen
aber sagen … es tut mir sehr leid.«
    Ich nickte.
    »Mein Bruder hat viele Schicksalsschläge
hinnehmen müssen, doch nichts auf der Welt rechtfertigt einen Mord.« Sie schüttelte
den Kopf. »Nichts auf der Welt! Er wollte mir helfen, nun wird er viele Jahre ins
Gefängnis gehen und was nützt mir das?« Sie hob die Hände. »Gar nichts!«
    Ich merkte, dass sie es ernst meinte.
    »Er hat immer nur zwei Interessen
gehabt: Sport und Politik. Und er ist ein Mensch, der seine Interessen intensiv
pflegt.«
    »Welche Art Sport war das?«, fragte
ich.
    »Japanischer Kampfsport, Judo und
Kendo.«
    »Und wo hat er trainiert?«
    »Das weiß ich nicht. Früher war
er in einem Studio im Industriegebiet Nord, Rießnerstraße, das hat aber dann geschlossen,
danach … keine Ahnung.«
    »Ich kümmere mich darum«, sagte
Meininger.
    »Und die Politik?«
    »Das war schon ernster«, antwortete
Sabine Grüner, »ich denke, er hat sich betrogen gefühlt, von beiden Systemen. Nirgendwo
ist er richtig auf die Beine gekommen. ›Zuerst hatte ich zu wenig Freiheit, dann
zu viel‹, hat er immer gesagt.«
    »In dieser Situation waren alle
DDR-Bürger«, sagte ich, »aber nicht alle 16 Millionen haben deswegen einen Mord
begangen.«
    Sie sah mich an. »Ja, natürlich.
Ich sehe das mit ›Zu viel Freiheit‹ sowieso anders. Freiheit bedeutet auch Verantwortlichkeit.
Das ist der Grund, weshalb viele Menschen nicht mit ihr klarkommen. Die meisten
Behinderten sind es gewohnt, Verantwortung für sich zu übernehmen. Und wir hatten
noch nie so viel Freiheiten wie nach der Wende. Auch sonst bin ich mit unserem Land
recht zufrieden.«
    »Außer?«
    »Was meinen Sie?«
    »Nun, ›rechtzufrieden‹ lässt
ja noch ein wenig Raum für Unzufriedenheit, oder?«
    »Stimmt«, sagte Sabine Grüner.
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