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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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abermals am Boden. Der Flötenspieler kauerte neben ihm und wendete ein Messer mit langer, schmaler Klinge vor Berties Nase hin und her.
    »Nico, mach was«, ächzte Bertie. »Die verdammten Indianer schlachten mich ab!«
    Ohne seinen Blick von Bertie abzuwenden, sagte der Flötenspieler ein paar schnelle Sätze zu seinen Gefährten. Die antworteten ihm in raschem Singsang. Noch immer standen sie dicht beim Feuer, Trommeln und Gitarre in den Händen, als ob sie gleich weiterspielen wollten.
    Der Flötenspieler nickte seinen Freunden zu, dann versetzte er Bertie einen Stoß und sah finster auf ihn herunter.
    »Was will er denn?«, zeterte Bertie, das Gesicht zu einer Fratze verzogen. »Wie soll man denn dieses Kanakengequatsche verstehen?«
    Da machte sich Carmen von Nicos Hand los und ging ein paar wacklige Schritte auf das Feuer zu. Ihre Knie fühlten sich weich an und ihr Herz klopfte wie ein Papagei, der eine Kokosnuss bearbeitet.
    »Das ist Spanisch, Bertie«, sagte sie so ruhig wie irgend möglich.
    »Wir sollen sie in Frieden lassen, dann lassen sie auch uns in Ruhe.
    Sie wollen hier nur sitzen, Musik machen und miteinander reden.«
    Bertie verdrehte die Augen, um erst Carmen, dann Nico und schließlich den Flötenspieler anzusehen. Solange der Junge im Poncho ihm sein Messer vor die Nase hielt, getraute er sich offenbar nicht, mehr als seine Augäpfel zu bewegen. »In Ordnung«, knurrte er endlich. »Sag’s ihnen, Carmen – wenn du schon ihren Slang verstehst.«
    Carmen wäre am liebsten im Boden versunken. Aber natürlich tat das Isarufer ihr nicht den Gefallen, sich unter ihren Füßen zu öffnen.
    Sie war völlig durcheinander. Wie kam sie überhaupt dazu, hier die Heldin zu spielen? Und Nico? Das war überhaupt das Schlimmste von allem: dass Nico dem üblen Treiben seines Freundes tatenlos zugesehen hatte.
    »Nun mach schon«, jammerte Bertie.
    Kurz drehte sich Carmen zu Nico um, aber der schaute starr an ihr vorbei. Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ihre Hand zitterte und war nass vor Schweiß. »Er ist – wir sind einverstanden«, sagte sie mit gepresster Stimme und in akzentfreiem Spanisch. Der Flötenspieler sah düster zu ihr herauf. »Es tut mir sehr Leid«, fügte sie hinzu, »dass das passiert ist…«
    Aber dann wusste sie nicht mehr weiter. Sie spürte, wie sie rot wurde, und machte einen Schritt zurück in die Dunkelheit.
    Der Flötenspieler stand auf und trat zu seinen Freunden. Die fingen gleich wieder an zu spielen, mit Gitarre und Trommeln, nur der Flötenspieler behielt sein Messer in der Hand. Aufmerksam sahen sie alle vier zu, wie Bertie sich zum zweiten Mal vom steinigen Boden aufrappelte.
    »Abmarsch«, sagte Bertie. »Jetzt brauch ich erst mal ’nen ordentlichen Schluck.« Ohne noch einmal zu den Musikern hinzusehen, stieß er Nico an und deutete auf das große Feuer, das in einiger Entfernung am Flussufer flackerte.
    Mittlerweile war es stockdunkle Nacht. Auch der Flötenspieler hatte wieder zu spielen begonnen. Aber die vier standen immer noch neben ihrem Feuer und sahen mit finsteren Gesichtern hinter Bertie und Nico her. Was für ein sonderbares Spanisch sie sprechen, dachte Carmen.
    Melodisch, wild und dunkel – wie ihre Musik, deren jagender Takt auch das Herz der Zuhörer rascher schlagen ließ. Wieder sah sie beim Klang der Flöte einen großen schwarzen Vogel vor sich, der hoch über schneebedeckten Vulkanen seine Kreise zog.
    »Hey, Mädels«, rief Nico aus der Dunkelheit. »Kommt ihr nicht mit?«
    Nein, Nicolas, dachte Carmen und fühlte plötzlich eine große Traurigkeit. Für heute hab ich genug von dir.
    Ehe sie oder Lena etwas antworten konnten, klingelte es in Carmens Handtasche. Schnell wühlte sie ihr Handy hervor.
    »Carmen, ich bin’s – Maria«, sagte ihre Mutter. »Du, es tut mir schrecklich Leid, dich zu stören, ich weiß ja, dass du auf deiner Ferienanfangs-Party bist und dass auch dieser Nico kommen wollte, aber – «
    »Macht gar nichts«, fiel sie Maria ins Wort. »Was ist denn passiert?« Im Hintergrund hörte sie ihren Vater, der mit lauter Stimme nach seiner Frau rief.
    »Passiert? Na ja… Also, eigentlich etwas ganz Wundervolles«,
    sagte Maria in munterem Tonfall, der nur ein klein wenig gekünstelt klang. »Aber das würden Georg und ich dir lieber nachher in aller Ruhe erzählen. Wann kommst du denn nach Hause, cariña?«
    Cariña?, dachte Carmen. Als Maria sie zum letzten Mal auf Spanisch »Liebling« genannt hatte – vor
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