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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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sie.
    »Ja, Mann!«
Brose verzog das Gesicht. »Ich meine, warum macht der auch so einen Mist? In der
Garage, das ist doch unappetitlich!«
    »Weißt du,
was unappetitlich ist?«, fauchte sie.
    »Also, Alice
jedenfalls nicht. Sauber und effektiv. Wegen mir können wir ruhig etwas schneller
laufen.«
    Katinkas
Blick wurde starr. Reflexartig erhöhte sie das Tempo, aber Brose hielt wie zuvor
problemlos mit.
    »Verdammt,
Katinka, mir reicht’s jetzt«, rief Grothe. »Du reißt dich jetzt …«
    »Halt du
dich raus!«, brüllte sie ihn an, und die Lautstärke, zu der sie nach über 15 Kilometern
noch fähig war, beeindruckte alle. Leise vor sich hin fluchend, verzog sich Grothe
ans Ende unseres Grüppchens.
    Mittlerweile
hatten wir den Rückweg in die Stadt angetreten. Die Strecke verlief im Tal, parallel
zum Neckar. Aber noch wartete der Scharfrichter auf uns: die lange Schlusssteigung
hoch zum Schlosswolfsbrunnenweg. Hier entschied sich, wer mit seinen Kräften pfleglich
umgegangen war und wer sie verschleudert hatte. Eine letzte Getränkestation, der
letzte Schluck Wasser für beide. Dann ging es nach links in den Jägerpfad. Mittlere
Steigungswerte, dafür Kopfsteinpflaster. Scharfe Rechtskurve, noch schärfere Linkskurve,
und wir standen vor einer Wand. Der Asphalt glühte. Seitlich Schlierbachs kleine
Bergkirche, weiter oben wieder die Gaffer und Sensationstouristen, die Anfeuerer
und Gutmeiner. Ich wollte nicht angefeuert werden, ich wollte allein sein! Allein
mit den Anstrengungen, mit dem Stechen in der Lunge, den brüllenden Oberschenkeln.
Katinka zog davon, ihr Oberkörper knickte nun ebenfalls in der Hüfte ab. Brose schien
zu schwächeln, pendelte im Laufen hin und her. Dann waren sie vorbei an der Kirche,
ich ebenfalls, doch es ging immer noch hoch. Wieder eine Kurve. Brose war plötzlich
dran an Katinka, ich beobachtete es von hinten, vielleicht konnte sie nicht mehr.
Er überholte sie! Als sie sich ihm zuwandte, sah ich für einen kurzen Augenblick
ihr Gesicht, sah die Verzweiflung darin, ihre Hoffnungslosigkeit. In diesem Moment
wurde mir klar, dass Katinka eine noch viel größere Romantikerin war als ich, eine
Romantikerin des Sports, die niemals etwas Verbotenes tun oder nehmen würde, um
sich einen Vorteil zu verschaffen. Da mochte ihr Medikamentenschrank noch so vollgestopft
sein.
    Und deshalb
verlor sie jetzt.
    Brose, weit
nach vorn gelehnt, die Schultern zusammengezogen, schlich ihr davon, erst waren
es fünf Meter, dann zehn, dann 20. Das steilste Stück lag hinter ihnen, jetzt begann
die am meisten unterschätzte Passage des ganzen Laufs: der zwei Kilometer lange
Schlosswolfsbrunnenweg, der sanft, aber unerbittlich anstieg. Eine Tortur für alle,
ob sie Sieger oder Letzter des Halbmarathons waren. Erst bei Kilometer 20, am Schloss,
hatte sie ein Ende.
    Fast 50
Meter hatte ich auf Katinka verloren. Im flacheren Teil kämpfte ich mich wieder
an sie heran. Ihr Gesicht war knallrot, die Augen lagen tief in den Höhlen, ihr
Mund stand offen. Und da waren Tränen, die über ihre Wangen liefen.
    »Ich rufe
die Polizei«, keuchte ich.
    »Nein«,
stieß sie schrill hervor. »Wehe!«
    Also tat
ich nichts. Vorn schlich Brose unerbittlich seiner Wege. Wenn er so weitermachte,
würde er sogar noch einen Podiumsplatz erreichen. Keine 100 Meter trennten ihn von
einem Läufer im roten Trikot. Und der wurde von einem aus der Fahrradstaffel begleitet.
    »Wie geht’s
dir?«, fragte ich Katinka immer wieder. »Was kann ich tun? Soll ich ihn umfahren?«
    Sie schüttelte
den Kopf.
    Der Weg
wand sich, beschrieb Kurven, dann wieder konnte man eine längere Strecke überblicken.
Auf ein kurzes Gefälle folgte ein weiterer Anstieg. Kilometer 19 kam in Sicht. Der
Abstand zwischen Brose und Katinka blieb konstant.
    »Ich fahre
jetzt vor zu ihm«, kündigte ich an. »Will nur wissen, was er für ein Gesicht macht!«
    Katinka
keuchte, schwieg aber. Ich beschleunigte, nahm während der Fahrt einen Schluck aus
der Pulle und erreichte Brose kurz darauf. Unsere Blicke trafen sich.
    »Na?«, brachte
er heraus. »Überzeugt?«
    Um ehrlich
zu sein, sah er kein Deut besser aus als Katinka. Eher schlechter. Hielt sich krumm
und pumpte heftig. Aber seine Beine liefen immer noch flüssig, von einem drohenden
Einbruch keine Spur.
    »Ich muss
doch bei der ersten Frau bleiben«, sagte ich. »Nicht wahr, Alice?«
    Er ließ
ein amüsiertes Krächzen hören.
    »Katinka«,
fuhr ich fort, »wird in London starten. Ohne auch nur ein Molekül
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