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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Autoren: Stefan König
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zeigen. Aber er zitterte, und es gelang ihm
nicht, dieses Zittern zu unterdrücken. Auf der Couch saß ein Auftragsmörder mit
ausgeprägt sadistischer Ader – und er stand ihm in Socken und in der Unterhose
gegenüber. Dass sein Leben nicht mehr allzu viel Wert hatte, wurde ihm mit
jeder Sekunde bewusster.
    »Hinknien!«, forderte der Mann ihn auf. Und als er kniete, musste er
sich nach vorn beugen, bis er die Stirn auf den hellbeigen Teppichboden legen
konnte.
    »Ist sie geladen, deine Pistole?«
    Er wird mich erschießen … Er wird mich erschießen … Er wird mich …
    »Probieren wir, was meinst du?«
    Der Mann stand plötzlich neben ihm, er konnte aus den Augenwinkeln
seine Beine sehen. Und jetzt …
    Er erschießt mich … Er erschießt mich …
    Raffl spürte einen unglaublichen Schlag auf die Mitte seines
Hinterkopfes. Er hörte ein kurzes, aber starkes Rauschen, das von seinem Blut
herrühren musste. Dann wurde es Nacht um ihn.
    Sein letzter Gedanke war: So ist das also, wenn man stirbt.
    *
    Als Schwarzenbacher in die Straße einbog, sah er als Erstes das
Postauto vor dem besagten Haus stehen. Ein paar Fußgänger waren unterwegs,
darunter auch eine Frau mit Hund. Er wollte sich keine Gedanken machen, wer von
denen ein »wirklicher« Passant war und welcher von ihnen ein getarnter
Polizeibeamter. Das Einzige, was er mit einem leichten Lächeln quittierte, war
die Feststellung, dass der kleine, stupsige Hund, der gerade an der
Einfassungsmauer einer Grünfläche sein Bein hob, bestimmt kein Polizei-hund
war – sicherlich ungeeignet für die Verfolgung flüchtiger Gewalttäter.
    Von irgendwoher war das Ploppen eines Tennisspiels zu hören. Er
erinnerte sich, dass es hier in der Reichenau eine ganze Menge Tennisplätze
geben musste. Er bewegte seinen Rollstuhl langsam auf das parkende Postfahrzeug
zu. Er war, seit er sich von Wasle getrennt hatte, sicherlich nicht mehr als
siebenhundert oder achthundert Meter gefahren, seine Unterarme schmerzten ihn
dennoch fürchterlich.
    Vielleicht sollte ich mir wirklich so ein elektrisches Krüppelmobil
anschaffen, dachte er.
    Doch zum Nachdenken blieb ihm nicht viel Zeit. Der Postler kam aus
dem Haus. Es ging alles ganz schnell. Mit Riesenschritten ging er zum Auto.
Dabei sah er mehrfach nach links und nach rechts. Seine Bewegungen hatten etwas
Hektisches. Ein unbeteiligter Passant hätte sich wahrscheinlich gewundert über
diesen nervösen und hastigen Postler. Ein Kurierfahrer mochte so gehetzt
erscheinen, das ja. Aber bei einem Postler war auch nach der Privatisierung des
Betriebes immer noch ein Hauch von gelassenem Beamtentum zu verspüren.
    Der Postler sprang in den Wagen, schnallte sich aber nicht an –
soweit das Schwarzenbacher aus der Entfernung beurteilen konnte – und ließ den
Motor beim Anlassen aufheulen.
    Dieses Aufheulen! So fährt doch keiner, der sein Auto kennt!
    Schwarzenbacher war bis in die Haarspitzen alarmiert. Der Mann
versuchte auszuparken und den Wagen in die im Moment kaum befahrene
Einbahnstraße hinauszulenken. Doch es gelang ihm nicht auf Anhieb.
    Der kennt den Wagen nicht, dachte Schwarzenbacher.
    Doch dann fiel ihm ein, dass auch der Polizeibeamte, der hier einen
Postler doubelte, mit dem Postauto nicht sonderlich vertraut sein konnte.
    Ich sehe ja schon Gespenster, dachte er. Ich sehe wirklich schon
Gespenster.
    Der Wagen scherte in die Straße hinein und fuhr davon.
Schwarzenbacher sah ihm nach. Es hatte alles seine Ordnung. An der Ecke wurde
der rechte Blinker gesetzt, und das Postauto verschwand nach rechts in die
Radetzkystraße. Alles hatte seine Ordnung.
    Im nächsten Moment hatte er die Erleuchtung. Anders hätte er es
auch später nicht erklären können. Es war keine rationale Angelegenheit, es war
im Gegenteil ein irrationaler Moment völliger Klarsicht, ein Blitzlicht im
Gehirn, das alles binnen dem Bruchteil einer Sekunde erst
durcheinanderwirbelte, um es dann geradezurücken. In aller Klarheit sah er vor
sich, was geschehen war. Der gesuchte Mann hatte den Polizeibeamten, der als
Postler verkleidet war, überwältigt, hatte sich seine Sachen angezogen und war
aus dem Haus marschiert und weggefahren. In der Wohnung würde man den
Polizeibeamten finden, hoffentlich ohne nennenswerte Verletzungen, hoffentlich
lebend …
    Im Auto aber saß der Mörder. Er hatte den Polizisten
überwältigt, sich seiner Kleider bemächtigt und war als Postler aus dem Haus
gekommen und davongefahren. Und alle, die irgendwo hier mehr oder
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