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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Autoren: Stefan König
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sich
auch später niemand erinnern, dass er hier gewesen war und einen Fahrschein
nach irgendwo erworben hatte. Das mit dem Unsichtbarwerden gelang. Schließlich
war es auch schon immer seine Spezialität gewesen.
    An den aushängenden Ankunfts-und Abfahrtsplänen informierte er sich
über den passenden Zug – das heißt, er checkte, wann der nächste Richtung Bozen
fuhr, und löste dann am Automaten den Fahrschein. Bis zur Abfahrt blieben ihm
noch zwanzig Minuten Zeit.
    Zeit, während der er sich von Paul Kurth zurückverwandelte in seine
eigene Person. Am anderen Bahnsteig stand ein Zug aus Mailand nach München.
Hier am Brenner hatten viele Züge schwer nachvollziehbare, schon fahrplanmäßig
festgelegte Aufenthalte. Die Leute standen draußen am Bahnsteig, vertraten sich
die Beine, rauchten, vertrieben sich die Zeit.
    Kurth, wie er noch hieß, schaute nach, wie viel Zeit noch blieb,
ging dann durch den Tunnel zum Zug, stieg ein, ging an den Abteilen entlang,
bis er eines entdeckte, das nicht nur menschenleer war, sondern auch keinerlei
Gepäckstücke enthielt. Er trat ein, legte den Alpenvereinsausweis von Paul
Kurth auf den Boden, schob ihn ein wenig unter einen der Sitze und verließ
lächelnd den Zug.
    Eine Spielerei. Ich hätte ihn genauso gut in den Mülleimer oder
einen Gully am Straßenrand werfen können, dachte er.
    Aber … wenn der Ausweis gefunden würde … gefunden und in Innsbruck,
Kufstein, Rosenheim oder München abgegeben würde … könnte das die Verwirrung
perfekt machen.
    Eine knappe Viertelstunde später saß er in seinem Zug.
    Er war jetzt nicht mehr Paul Kurth.
    Er war wieder er selbst.
    Der Zug fuhr mit gebremster Geschwindigkeit vom Brenner hinunter
nach Sterzing. Der Mann lehnte seinen Kopf ans Fenster, die kühle Scheibe tat
ihm gut, die Anspannung der letzten Tage und Stunden fiel langsam von ihm ab.
Er war entkommen.
    Als der Zugbegleiter ihn ansprach und um die Fahrkarte bat, schrak
er auf, bereit, sich den Weg mit Gewalt zu bahnen. Dem Zugbegleiter fiel die
kalte Wut, die mörderische Entschlossenheit in den Augen des Mannes nicht auf –
er war mit seinen Gedanken woanders, wartete auf den Fahrschein und überhaupt:
Wenige Sekunden später war dieser gefährliche Blick schon wieder erloschen, der
Zugbegleiter nickte und ging weiter.
    Ich fahre bis Bressanone, dachte er. Dann mit dem Bus in die Berge.
Vielleicht muss ich irgendwo übernachten. Da muss ich aufpassen. Keine Papiere.
Unsichtbar. Besser wäre, heute noch zu meinem Auto zu kommen.
    Und dann? Was kommt dann?
    In Gedanken zählte er das Geld, das ihm dieser Job gebracht hatte.
Dass Manczic ihm den letzten Teil des Auftrags versaut hatte und ihm das Geld
dafür durch die Lappen gegangen war, ärgerte ihn. Immerhin hatte er bei der
Frau in Innsbruck achthundertfünfzig Euro gefunden, und das war ein kleiner
Trost.
    Ich fahre bis ganz in den Süden, dachte er. Bei Ivica kann ich fürs
Erste bleiben. Und dann werde ich mich umsehen. Keine Aufträge mehr. Zu
riskant. Ein oder zwei Jahre werde ich das gesunde Landleben genießen.
Arbeiten. Ja, arbeiten. Vielleicht ein Mädchen. Ja, das wäre gut. Ein Mädchen.
Ist egal, ob sie Kroatin oder Serbin oder sonst was ist. Nur keine Muslimin. Er
stellte sich die Brüste und den Schlitz einer Frau vor, einer x-beliebigen, und
er fand diese Vorstellung gut und sehr verlockend.
    Das Leben bot Perspektiven.
    *
    Hosps Laune verbesserte sich auch in den nächsten Tagen nicht.
Er war wütend über die Fehler, die gemacht worden waren, tobte, weil der
Gesuchte wie vom Erdboden verschwunden war – »Wollt ihr sagen, dass dieses
Arschloch plötzlich unsichtbar geworden ist?« –, und war nur schwer davon
abzuhalten, den Chefredakteur des »Tiroler Stern« persönlich aufzusuchen und
ihm die Leviten zu lesen.
    Ausgerechnet der »Tiroler Stern« hatte sich mit unverhohlener Wonne
auf den Fall gestürzt, hatte über »das Versagen der Polizei« hergezogen und die
Frage gestellt: »Wie sicher sind die Tiroler Bürger noch?«
    Zusammengeknüllt und in die Ecke geworfen, lagen die Exemplare des
»Tiroler Stern« bei Hosp im Büro. Die »Tiroler Tageszeitung« hatte sich Mühe
gegeben, sachlich zu berichten, konnte aber dem medialen Sog auch nicht ganz
widerstehen.
    Als dann auch noch »News« und »Profil« mit sogenannten
Hintergrundreportagen an die Kioske kamen, reichte Hosp Urlaub ein.
    »Urlaub?«, fragte Schwarzenbacher. »Was willst du denn machen?
Hockst doch in deinen Urlauben eh immer
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