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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel
Autoren: Der Weihnachtshund
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Form von Bier erwischt. Das war beim Fest einer freiwilligen Feuerwehr,
die sich einmal im Jahr einen Brand selbst legen musste, um wenigstens ein Mal
im Jahr einen anderen Brand als den täglichen persönlichen zu löschen. Es gab
dort eben zu wenig Häuser in den Dörfern und die waren zu feucht, um zu
brennen. »Ist Ihnen schlecht?«, fragte Erni. »Ja«, erwiderte Rudi zwischen zwei
Beweisen. Er war ein sehr aufrichtiger Mensch. Danach heirateten sie. Nicht
unmittelbar danach, zwei Jahre später. Hätten sie etwas mehr Mut zur Lücke
gehabt, würde Katrin Schulmeister-Hofmeister heute Katrin Schulhofmeister
heißen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Wahrscheinlich nicht.
    Vor
dreißig Jahren minus 22 Tagen kam Katrin gesund zur Welt. (Exakt am Heiligen
Abend würde sie also dreißig.) Damals war die Stadt gerade im Chaos versunken
und von der Umwelt abgeschnitten, es hatte ungefähr drei Zentimeter geschneit.
Die Schneeräumung versagte, das heißt: Es gab keine. Der zuständige Stadtrat musste
zurücktreten, aber er weigerte sich.
    Beim
Christbaumschmücken hatten Ernis Wehen bezüglich Katrin eingesetzt. Rudi, wie
das oft so ist bei werdenden Familienvätern, war im Verkehr stecken geblieben.
Selbst ohne Verkehr wäre er stecken geblieben, sein Ford Fiesta hatte
Sommerreifen. Kein Problem für Erni. Hausdoktor Sokop von der Dreier-Stiege
und Hebamme Alice aus dem Erdgeschoss sorgten für eine Weihnachts-Heimgeburt,
wie sie selbst von hartgesottenen Boulevard-Journalisten wegen übertriebener Klischeelastigkeit
abgelehnt, also nicht veröffentlicht worden wäre. Als Rudi heimkam, lag Tochter
Katrin sozusagen unter dem Christbaum, angeblich lamettabehangen, aber das
hatten die ehrgeizigen Urgroßeltern dazuerfunden. Rudis vergoldeter Armreifen
für Erni - 1300 Schilling nach zähem Verhandeln - ging an diesem Abend
jedenfalls ein wenig unter. Und den Karpfen aß keiner. Wenigstens verschluckte
auch keiner eine Gräte.
    Logisch,
ein Kind, das so zur Welt kam, blieb erstens geschwisterlos (selbst ein gezieltes
Osterbaby hätte da nicht mithalten können) und zweitens ein ewiges Wunschkind.
Die liebenden Schulmeister-Hofmeisters wünschten sich von Katrin (zum Teil erst
im Nachhinein, als es schon eingetroffen war) lange schwarze Haare, große
grüne Augen, schöne weiße Zähne, kein Geschrei im Kindergarten, lauter Einser
in der Volksschule, keine Pubertät (keine Wimmerln, keinen Poster von Tom
Cruise, kein Backstage bei AC/DC und keinen privaten Bongo-Kurs bei »Jim« aus
Jamaika, der wusste, worauf es im Leben ankam, auf die Freiheit). Mehr noch:
keinen Zungenkuss vor 14, keine Präservativdiskussionen vor 16, keine
Schwangerschaft vor 18, ja im Gegenteil: die Matura, möglichst mit
Auszeichnung, möglichst mit links. Dann ein Studium, möglichst Medizin. Hier
trotzte Katrin erstmals und studierte Maschinenbau, das war aber nur ein
Scherz, deshalb brach sie das Studium nach einem halben Semester des Staunens
und Bestauntwerdens ab und wurde medizinisch-technische Assistentin der
Augenheilkunde. Die Eltern waren glücklich und rehabilitiert. Augen gehörten
ja auch irgendwie zur Medizin.
    Und nun
fehlte praktisch nur noch der Eine, der Schwiegersohn, der Mann für immer, ein
fescher, kluger, aus gutem Hause mit gutem Geld, gutem Geschmack und guten Umgangsformen,
ein richtiger (»Frau Schulmeister-Hofmeister, ich darf doch Mama sagen, Sie
machen den besten Kaffee der«) Welt-Mann. Und das war die Tragödie aus der
Sicht der Schulmeister-Hofmeisters: Diesen Mann gab es nicht. Er war weder
eingezogen noch eingetroffen noch eingetreten. Katrin stand unmittelbar davor,
dreißig Jahre alt zu werden und ... nein, man durfte es gar nicht laut denken.
Man durfte es niemals aussprechen. Man durfte es dem Goldschatz auch ja nie
anmerken lassen. Man durfte es nur ausnahmsweise einmal lautlos hier in dieses
Buch hineinschreiben: Katrin - näherte - sich - dem - Dreißigsten - und -
hatte - keinen - Mann! Demnach auch kein Kind, keine Familie, kein Reihenhaus
mit Garten, kein Gemüsebeet, keinen Schnittlauch, kein Garnichts.
    Draußen
schneite es wie gesagt nicht. Drinnen surfte Katrin im Internet und klickte
»Weihnachten« an, weil sie gerade daran gedacht hatte, indem sie nur ja nicht
daran denken wollte. Da dumpten sich Reisebüros mit Last-Minute-Fluchtmöglichkeiten
an die von Weihnachten entferntesten Strände der Welt nieder. Da rieselte der
Reisig aus den Offerten der Basare. Da duellierten sich die
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