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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Garry Disher
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riskierte er eine Kugel. Er wägte ab. Würde er im Haus bleiben, war er nicht mobil. Es war besser, den Kerl zu verfolgen.
    Aber die .38er lag unterm Bett im Halfter, eingeklemmt zwischen Sprungfedern und Matratze. Ihm fiel noch das kleine Gewehr in der Scheune ein. Nicht, daß er etwa vorgehabt hätte, Sugarfoot mit dem kleinkalibrigen Gewehr zu verfolgen, das er in den vergangenen zwei Jahren selten benutzt hatte – zum Vertreiben der Tauben.
    Er hielt sich dicht an der Wand, bis er sich hinter einer Gruppe Bambuspflanzen befand. Jenseits des Bambus stand eine alte, ausgediente Molkerei. Sollte Sugarfoot sich inzwischen zum südwestlichen Rand des Kiefernwalds geschlichen haben, könnte er auf die freie Fläche zwischen Haus und Molkerei einen sauberen Schuß abgeben, doch Wyatt rechnete damit, daß Sugarfoot sich so plazieren würde, daß er Wyatt bei dem Versuch, das Haus durch die Küchentür zu betreten, erwischen würde.
    Wyatt ging in die Hocke, wartete einen Augenblick und rannte in gebückter Haltung zur alten Molkerei. Es hatte keinen Sinn, einen Zickzack-Kurs einzuschlagen, nicht wenn Sugarfoot von der Seite schießen würde. Er ließ den Bambus hinter sich und sprintete über die sumpfige Stelle um den leckenden Wasseranschluß im Garten. Hausschuhe und Trainingshose wurden mit Wasser und Matsch bespritzt und sogen sich voll. Er wischte sich die Regentropfen aus den Augen.
    Völlig außer Atem erreichte er die Molkerei genau in dem Augenblick, als der Schuß fiel, zu spät. Er schlug irgendwo auf der anderen Seite der Molkerei ein. Das sagte ihm, daß es kein zurück gab.
    Die einzige Fluchtmöglichkeit war, die Molkerei als Schutzschild zu benutzen und sich in gerader Linie von Sugarfoot zu entfernen. Dann konnte er einen weiten Bogen ums Haus machen und es von der Vorderseite aus betreten. Sugarfoot rechnete sicher damit, daß er sich verschanzte, nicht, daß er sich wegbewegte. Darüber hinaus mußte Sugarfoot eine größere Entfernung überwinden, wenn er Wyatt auflauern wollte, und das Haus umkreisen, um auf ihn zu treffen. Doch dann würde Wyatt längst im Haus und wieder draußen sein, diesmal bewaffnet.
    Er erinnerte sich an das Training bei der Armee, lief in großen Schritten, zwanzig Schritte rennend, zwanzig gehend. Das mühsamste Hindernis war ein hoher, englattiger Viehzaun, mit Stacheldraht überzogen. Der Draht gab nur wenig nach und riß schmerzhaft an ihm, als er sich durchzwängte.
    Er rannte weiter, sich des Schmerzes bewußt und des Blutes, das an seinen Hüften herunterlief. Er machte eine Linkskurve, wich Grasbüscheln und tückischen Löchern aus, wo Kühe und Pferde tiefe Abdrücke im schlammigen Erdreich hinterlassen hatten. Er rutschte aus, sein linkes Bein glitt ihm auf einem frischen Kuhfladen weg. Er gewann sein Gleichgewicht wieder, griff sich an die Hüfte und rannte weiter.
    Sein Lauf führte ihn zu einer Pferdekoppel. Auf der anderen Seite war noch ein Zaun zu überwinden, und dann befand er sich im Schutz der goldenen Zypressen.
    Er blieb stehen. Ivan Youngers weißer Statesman parkte an der tiefergelegenen Seite der Straße, fünfzig Meter entfernt vom Eingang zu seiner Einfahrt.
    Er wartete zwei Minuten, nahm verschiedene Geräusche wahr. Ein Schäferhund, von den Gewehrschüssen angestachelt. Sein Besitzer rief ihm zu, er solle das Maul halten. Irgendwo startete ein Motor. Es war fast elf. Wyatt wußte, daß einige der Nachbarn um elf Uhr zur Kirche gingen, aber es konnte auch jemand sein, der sich entschieden hatte, der Sache nachzugehen. Plötzlich wußte Wyatt, was er zu tun hatte. Er würde Sugarfoot umbringen, ihn in Ivans Statesman nach Frankston bringen, dann zurückkommen und sich mit einem oder zwei der Nachbarn darüber unterhalten, daß diese beschissenen Wochenendjäger überall herumtrampelten.
    Nun, da er eine Pause einlegte, hatte der Schmerz etwas nachgelassen. Er näherte sich dem Haus über die Zufahrt, hielt sich dicht an die Zypressen.
    Am letzten Baum hielt er an und überblickte die freie Fläche, die sich bis zur Obstplantage erstreckte. Dabei entdeckte er ihn etwa dreihundert Meter entfernt. Sugarfoot, in Cowboystiefeln, Stetson und langem Mantel, schlich am Rand des Kiefernwaldes entlang in die Obstplantage.
    Wyatt rannte geduckt über die breite Veranda seines Hauses. Er hatte etwa eine Minute, bevor sich Sugarfoot so positioniert hatte, daß er Veranda, Haustür und Fenster überblicken konnte. Die Anspannung gab ihm ein scharfes Gespür
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