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Ghost

Titel: Ghost
Autoren: Robert Harris
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machte meine Post nicht mehr auf und ging auch nicht mehr ans Telefon. Ich rasierte mich nicht mehr. Für längere Zeit verließ ich die Wohnung nur montags und donnerstags, damit ich meine Putzfrau nicht sehen musste – eigentlich wollte ich sie feuern, aber ich konnte mich nicht einmal dazu aufraffen. Dann saß ich, bei schönem Wetter, im Park oder, wenn es nicht schön war, in einem schäbigen Café, und da ich nun mal in England lebte, war es meistens nicht schön.
    Trotz meiner totalen Betäubung befand ich mich paradoxerweise gleichzeitig in einem Zustand permanenter Erregung. Nichts war im Lot. Ich ärgerte mich sinnlos über Kleinigkeiten – wo ich ein bestimmtes Paar Schuhe gelassen hatte, zum Beispiel, oder ob es klug sei, mein ganzes Geld bei einer einzigen Bank zu deponieren. Diese Gereiztheit bewirkte, dass ich zittrig und immer kurzatmig war. In dieser Gemütsverfassung machte ich eines späten Abends, etwa zwei Monate nachdem ich das Buch fertiggestellt hatte, eine Entdeckung, die angesichts meines Zustands eine desaströse Wirkung zeigte.
    Mir war der Whisky ausgegangen, und ich wusste, dass mir nur noch zehn Minuten blieben, bevor der kleine Supermarkt auf der Ladbroke Grove dichtmachte. Ich griff mir die erstbeste Jacke und war schon halb die Treppe hinuntergelaufen, als ich merkte, dass es sich um die Jacke handelte, die ich bei Langs Tod getragen hatte. Sie war vorn eingerissen und mit Blut befleckt. In einer Tasche steckte die Disc mit meinem letzten Interview mit Adam, in der anderen der Schlüssel des Ford Escape.
    Der Wagen! Den hatte ich völlig vergessen. Er stand immer noch am Logan International Airport. Für achtzehn Dollar am Tag! Denen schuldete ich inzwischen Tausende.
    Einem jeden wird zweifellos – und heute geht es mir nicht anders – meine Panik lächerlich vorkommen. Mit rasendem Herzschlag spurtete ich wieder die Treppe hinauf. Es war in New York schon nach sechs und keiner mehr da bei Rhinehart Inc. Auch im Haus auf Martha’s Vineyard meldete sich niemand. In meiner Verzweiflung rief ich Rick zu Hause an, plapperte ohne Einleitung los und setzte ihm die Details der Krise auseinander. Er hörte mir etwa dreißig Sekunden lang zu und sagte dann rüde, dass ich den Mund halten solle.
    »Das ist alles schon seit Wochen erledigt. Den Typen vom Parkplatz kam das verdächtig vor, die haben die Bullen geholt, und die haben dann in Rhineharts Büro angerufen. Maddox hat die Rechnung bezahlt. Ich hab dich nicht belästigt damit, weil ich ja wusste, dass du bis zum Hals in Arbeit steckst. Jetzt hör mir mal zu, mein Freund. Scheint mir ganz so, als hätten wir es hier mit einem ganz üblen Fall von verspätetem Schock zu tun. Ich kenne da einen Seelenklempner ...«
    Ich legte auf.
    Als ich schließlich auf dem Sofa einschlief, träumte ich meinen immer wiederkehrenden Standardtraum über McAra – den, in dem er vollständig bekleidet neben mir im Meer treibt und sagt, dass er’s nicht mehr schafft: Du musst ohne mich weiter. Aber diesmal endete der Traum nicht damit, dass ich aufwachte, sondern er ging weiter. Eine Welle trägt McAra fort, in seinem dicken Regenmantel, an den Füßen die Schuhe mit den Gummisohlen, bis er nur noch ein dunkler Schatten in der Ferne ist, der mit dem Gesicht nach unten im seichten, schaumigen Wasser den Strand hinauf- und wieder hinunterrutscht. Ich wate auf ihn zu, schiebe ihm meine Arme unter den massigen Körper und rolle ihn mit äußerster Kraftanstrengung auf die Seite. Und dann liegt er plötzlich nackt auf einer weißen Platte und starrt nach oben in das Gesicht von Adam Lang, der sich über ihn beugt.
    Am nächsten Morgen verließ ich früh die Wohnung und ging den Hügel hinunter zur U-Bahn-Station. Ich dachte mir, dass es nicht so schwierig sein dürfte, mich umzubringen. Ein schneller Sprung vor einen einfahrenden Zug, und dann Vergessen. Viel besser als Ertrinken. Aber das war nur eine ganz kurze Anwandlung, nicht zuletzt deshalb, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dass hinterher jemand alles saubermachen musste. (»Den Kopf haben wir auf dem Dach des Flughafengebäudes gefunden ...«) Stattdessen stieg ich in die U-Bahn ein und fuhr bis zur Endstation Hammersmith. Dort überquerte ich die Straße und stieg in eine andere Linie ein. Bewegung, sagte ich mir, ist die beste Heilmethode für Depressionen. In Bewegung bleiben. An der Station Embankment stieg ich wieder um und fuhr Richtung Morden, was sich für mich immer wie das
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