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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Autoren: Rudolf Nährig
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Mutter« genannt, zwischen Beatrice und Gunter, dem Erstgeborenen. Manon, die Frau von Claas, bringt mir eine große Tüte mit Geschenken mit. Lauter Firlefanz, aber mit viel Liebe ausgesucht. Sie sagt immer: »Ich fang schon im Frühjahr damit an, die Sachen zu besorgen, das ist die größte Freude und Aufregung für mich.« Gott, wie muss die glücklich sein, wenn sie bereits im Mai an Weihnachten denkt! Sie war in ihrer Jugend aktive Sportlerin. Kann man immer noch erkennen, ansatzweise. Danach der stämmige Andreas mit Leon – die Zwillinge, auch schon in die Jahre gekommen – und Malte mit seiner wahrhaft »überragenden« Frau Alice. Aber es passt gut.
    Jeder will etwas anderes essen. Genau das ist auch der besondere Reiz an der Sache. In allen Restaurants der Stadt gibt es an diesem Tag ein festes Menü. Nicht jedoch im Vier Jahreszeiten. Bei Annegret und so vielen Gästen, die alle zur gleichen Zeit den Teller vor sich haben wollen, hätte ich mir die Wahl einer einheitlichen Menüfolge freilich schon sehr gewünscht. Mit Gunter, dem Besteller, feilschte ich Jahr um Jahr darum, erneuerte stets meine Bitte, es dadurch doch der ohnehin gestressten Küche etwas leichter zu machen. Nix zu wollen. Immer wieder betonte dieser echte und rechte, mit feinem Humor ausgestattete Hamburger Kaufmann: »In meiner Familie möchte eben jeder etwas anderes essen.« Und seufzte: »Da bin ich machtlos.«
    Im letzten Jahr habe ich es bis zum Äußersten getrieben. Ich sollte in seinem Unternehmen anrufen, um den großen Weihnachtstisch zu bestätigen. Es juckte mich und ich verlautbarte: »Herr Mengers, in diesem Jahr servieren wir nur ein festes Menü für alle Gäste und es gibt keine Ausnahmen.« Am anderen Ende der Leitung kein Ton. Kaum Atmung. Totenstille. Nach einer halben Minute: »Ist das wirklich so? Ist das Ihr Ernst, Herr Nährig?« Nun konnte ich nicht mehr und gab Entwarnung. Nein, ist es nicht. »Jetzt haben Sie mich aber kalt erwischt«, meinte er sehr erleichtert, »das hat gesessen.« Über dieses Gespräch haben wir uns noch oft gemeinsam amüsiert.
    Soeben trifft Klaus Habicht mit acht Personen ein. Annette und Klaus haben drei Töchter. Die Mädchen sind heute rausgeputzt wie Glitzerbäume. Jede so hübsch wie die jung gebliebene Mutter. Sie selbst braucht keinen Putz, sie wirkt auch ohne. Der Tisch gegenüber war seit vielen Jahren mit Wolfgang besetzt. Diesmal sitzen andere Gäste dort. Sophie, die Jüngste, bemerkt es sofort. Sie erinnert sich an die Mär der Tischvergabe: dass ein einmal ergatterter Tisch zu Lebzeiten nicht wieder hergegeben wird. »Oh«, fragt sie mich schelmisch, »ist da einer gestorben, weil andere Gäste dort sitzen?« – »Ja«, antworte ich, »Wolfgang ist vor drei Wochen verstorben, kurz nachdem er den Tisch bestätigt hat.« Sophie ist baff. Wird blass und rot zugleich. »Das tut mir leid«, sagt sie traurig. »Mir auch«, gebe ich zurück, »aber mit dem Tod habe ich keine Abmachung.«
    Eine bestrickend gut aussehende Dame betritt mit ihrem zwölfjährigen Sohn den Grill und hätte so gerne noch einen Tisch. Sie kommt extra aus Bremen und hat vergessen zu reservieren. Was nun? Langjähriger Stammgast. Das strahlendste Lachen, das ich je gesehen. Mein Buchhändler Wilfried, ein guter Bekannter, hat einmal behauptet, sie habe in ihrem ganzen Leben wohl nie ein Buch gelesen. Ich glaube, er hat recht. Wenn doch, dann vermutlich höchstens das Telefonbuch, um sich mit Bekannten und Freundinnen zum Tee zu verabreden. Wie auch immer – im Restaurant soll sie ja auch nicht lesen, sondern essen. Irgendwie gelingt es mir, speziell für sie einen Tisch »aus dem Boden zu stampfen«. In meinem Beruf muss man über seinen Schatten springen können – und das nicht nur zur Sommer-, sondern gerade auch zur Weihnachtszeit. Und bei Regen, Schnee und Nebel. Genau genommen also immer. Ah, da kommt Gerhard Koop mit Söhnen Christian und Holger sowie seiner Frau Helga, die gleich zu Ingrid und ihren beiden Schwestern stürzt, um sie zu begrüßen. Wie gesagt, alle eine große Familie, die sich, glücklicherweise, nur einmal im Jahr trifft. Die Luft vibriert. Alle sind freudig. Ob sie auch glücklich sind, weiß ich nicht. Dieser Mittag ist wirklich ein festliches Ereignis. Ein heiliger Tag vorm Heiligen Abend.
    Gegen 16 Uhr löst sich alles wieder auf. Die Verabschiedungen dauern bis zum Ausgang. Es wird versprochen, dass sich die Balken biegen. Jeder weiß, es dauert wieder 365 Tage, bis man
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