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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
Autoren: Kathrin Fischer
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Leuten gut als schlecht ging. Jetzt stehen wir mitten in einem echten Interessenkonflikt zwischen Gewinnern und Verlierern, die Verlierer mehren sich, und ich selbst könnte bald dazugehören. Ist da der Rat, schon mal mit den Schießübungen zu beginnen, nicht möglicherweise doch ganz vernünftig?
    Ich bleibe bei meinem Nein. Ich will nicht in einer Welt leben, in der Straßenkämpfe Alltag sind. Abgesehen davon verändert Gewalt immer auch den, der sie ausübt. Und zwar nicht zum Besseren. Also was dann?
    Der resignierte Herr im Zug empfahl als Handlung: »Einfach abwarten.« Das ist bei Monopoly. Einer hat die Schlossallee und das ganze Geld, und dann ist Schluss, und die Karten werden neu verteilt.«
    Vom Großen Verteiler?
    Selbst eine so kenntnisreiche Kritikerin des Systems wie Ulrike Herrmann fühlt sich hilflos, wenn es um die Frage geht, was man tun könnte, um die zunehmende Ungleichheit zu ändern. »Das werde ich auch immer bei meinen Lesungen gefragt, und es ist eine sehr unangenehme Frage, weil ich sie nicht beantworten kann. Das Einzige, was mir zu dem Thema einfällt, ist erst mal, den schlichten Weg der Aufklärung zu gehen.«
    Aufklärung ist allerdings nicht gering zu schätzen, das bemerke ich an mir selbst. Während ich zu Beginn der Arbeit an meinem Buch ausschließlich meine individuellen Wohlstandsängste im Blick gehabt habe, sind mir während der Recherchen die Veränderungen und Widersprüche der gesamten Gesellschaft in den Blick geraten.
    Das hat Folgen: Ich bin beispielweise Mitglied bei Attac geworden. Ich habe die Bank gewechselt. Ich habe einen neuen, energieeffizienten Kühlschrank und einen ebensolchen Geschirrspüler gekauft. Ich bin zu einem Öko-Stromanbieter gewechselt. Ich esse ausschließlich Fleisch vom Bio-Metzger. Ich fliege so wenig wie möglich. Ein Kurzurlaub in Portugal oder New York käme für mich nicht infrage. Ich streite mich mit Menschen im Zug. Hätte ich Geld übrig, ich würde es nur noch in einen nachhaltigen Fonds investieren.
    Nicht mehr lange, und ich kaufe politisch korrektes Holzspielzeug auf dem Weihnachtsmarkt. Und werde von meinen Freunden gemieden, weil ich in ihnen mit meiner Bescheidwisserei und meiner Selbstgerechtigkeit auf die Nerven gehe. Wobei für Letzteres kein Anlass besteht: Ich bade so gerne, dass mein individueller Energie- und Wasserverbrauch alles andere als vorbildlich aussieht. Ziemlich oft fahre ich meinen Sohn aus morgendlicher Faulheit mit dem Auto zum Kindergarten. Ich verwende Alufolie und Plastikmüllbeutel und kaufe trotz Reflexion über Geltungskonsum gerne hochwertige Schuhe, und zwar nicht aus Nachhaltigkeits-, sondern aus Statusgründen.
    Dennoch möchte ich etwas ändern.
    Meine Freundin Anna hat dieses Buch gelesen, während es entstand. Sie hat sich dabei manchmal über sich selbst geärgert, vor allem aber hat sie gesagt: »Das ist ja total spannend. Ich frage mich die ganze Zeit: Worauf läuft das hinaus?«
    Ja, habe ich gedacht, das frage ich mich auch. Auf eine Veränderung des Lebensgefühls. Ist das genug?
    Auf jeden Fall, sagt meine Mutter und wiederholt diesen Satz: Man kann nur sich selbst ändern.
    Nein, sagt jemand in mir, den ich noch nicht sehr gut kenne, du musst auch versuchen, deine Welt zu ändern. Aber wie?
    Indem ich eine Weltrettungsanleitung in fünf Punkten entwickle. Hier ist sie.
    1. Das Gefühl, dass man so nicht leben will, ernst nehmen. »Wofür bin ich hier? Worum geht es? Bin ich hier, manipuliert als Konsummaschine, manipuliert von Firmen, Werbung, Regierung? Bin ich auf der Welt, um Produkte zu kaufen, von denen Firmen wollen, dass ich sie kaufe, bis ich sterbe? Und dann sterbe ich?« 164
    164 Christiane Paul: Das Leben ist eine Öko-Baustelle, S. 196
    Um kaufen zu können, muss ich arbeiten. Es ist bizarr, wie hoch wir Arbeit schätzen. Und zwar, je knapper und schlechter sie wird, desto mehr. Die mit Steuergeldern finanzierte Demütigungskultur der Jobcenter zeugt davon. Menschen ohne Arbeit sind Menschen zweiter oder dritter Klasse – um Mensch zu werden, muss man arbeiten, und zwar leidenschaftlich. »Nur, wer mit vollem Herzen dabei ist, kann gut sein«, sagt ein Freund von mir. Burger braten bei McDonald’s? Spargel stechen beim Großbauern? Toiletten reinigen auf der Autobahnraststätte? Mit vollem Herzen? Ich halte das wahlweise für Naivität oder Zynismus.
    Auch wenn mein Verleger sich manchmal darüber mokiert, dass in eben dem Moment, in dem Arbeit knapp und Konsumchancen
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