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Geheimnisse der Lebenskraft Chi

Titel: Geheimnisse der Lebenskraft Chi
Autoren: Peter Meech
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erfolgen würde.
    Sein Gesicht verrät nichts. »Welcher Tag war es?«
    »Samstag.«
    Er richtet sich kerzengerade auf. »Welche Zeit?«
    »Dem Traum nach um halb zwei«, sage ich. »Aber es kam ein bisschen früher.«
    »Oh, ja, so zwischen zwanzig nach und fünf vor halb. Ich habe ein bisschen früher angefangen, damit Sie es ganz sicher bekommen.«

    Er deutet auf den Patientenstuhl, und ich setze mich. Jetzt kommt er so richtig in Fahrt und erzählt alles über seine Reise - was für Patienten er gesehen hat, was er gegessen hat, welche Freunde er getroffen hat. Die Erinnerungen lassen seine Augen aufleuchten, und er skizziert mir das moderne Leben in Shanghai, einer Stadt, die mit der Stadt seiner Jugend nichts mehr gemein hat. Ich höre ihm allerdings nicht allzu aufmerksam zu, zu groß ist die Freude über meinen Erfolg.
    Als seine Erzählung abgeschlossen ist, verschränkt er die Finger und fixiert mich. »Was hat Peter noch bemerkt?«
    Mit der Frage habe ich gerechnet. Ich berichte von vier weiteren Chi-Übertragungen nach der ersten am Samstag. Ich rattere ihm die Zeit und Chi-Qualitäten herunter, und er reißt die verschränkten Hände auseinander und ruft: »Peter große Prüfung bestanden!«
    In meinem Lachen schwingen Erleichterung und die pure Wonne. »Und wie geht es jetzt weiter, Dr. Chow?«
    »Wir lassen Chi entscheiden.« Seine Stimme ist warm und voller Güte. »Chi weiß am besten.«

DAS ANGEBOT
    »Was möchten Sie wirklich?«, fragt Dr. Chow und betrachtet mich mit forschendem Blick. Er breitet die auf dem Schreibtisch liegenden Arme aus, wie um zu sagen, dass es ihm ein Vergnügen wäre, mich in seinen ganzen gewaltigen Wissensschatz einzuführen. Bevor ich auch nur Luft holen kann, fügt er hinzu: »Und später kann eigene Praxis aufmachen.«
    Mir dröhnt es in den Ohren. Innerlich sehe ich Bilder aufblitzen, von lächelnden Patienten, von Akupunkturnadeln zwischen meinem Daumen und Zeigefinger, von meinem kleidsamen Laborkittel, von Untersuchungsräumen, einem Sprechzimmer, dem großen Vormerkbuch, den Schwaden scharf duftender Kräuter, chinesischen Medizintexten (die ich auch lese, weil ich dann die Sprache gelernt habe), sanfte Mozartklänge im Eingangsbereich und überall Chi, Chi, Chi. Zwei Sekunden, dann ist es vorbei.
    Hält mich ein Unstern davon ab, die vielleicht größte Gelegenheit meines Lebens zu ergreifen? Ich weiß nur, dass es mir einfach nicht gegeben ist, fünf Tage die Woche in einer Akupunkturpraxis zu stehen - von den Jahren bis zur Beherrschung des Handwerks ganz zu schweigen.Auch mein Interesse an chinesischen Kräuterarzneien besitzt nicht das Ausmaß, das es für
den erforderlichen Einsatz haben müsste. Nur das Chi selbst mit seiner geheimnisvollen Unergründlichkeit ist für mich ein Gebiet, auf dem ich gern mein Leben lang lernen würde.
    Ich sehe Dr. Chow an und überlege, wie ich mich von seinen großen Plänen absetzen kann. Er hat gesagt, dass er nie versuchen würde, mich von der Schriftstellerei abzubringen. Einmal war ich im Gespräch für den Posten des Hauptautors einer Fernsehserie, und Dr. Chow wünschte mir Glück dazu und sagte, von ihm aus könne die Lehre weitergehen, auch wenn ich den Job bekommen sollte. Ich bekam ihn nicht und war enttäuscht, aber in der Praxis bekam ich eine solche Portion Chi ab, dass die Welt gleich wieder in Ordnung war. Über die Jahre hat Dr. Chow ein väterliches Interesse an meiner Schriftstellerkarriere bekundet und mich einmal sogar einem Filmproduzenten vorgestellt, den er als Arzt betreute. Aber nun sitze ich hier in seinem Sprechzimmer, und er macht mir den Vorschlag - nein, gibt mir den Rat -, die Traditionelle Chinesische Medizin zu meinem Beruf zu machen. Sein Bruder Alan hat die Praxis kürzlich verlassen und eine eigene aufgemacht. Demnach besteht hier jetzt eine Leerstelle, die gefüllt werden muss. Ich weiß im Moment nicht, was ich sagen soll.
    Er mustert mich. Dann sagt er: »Da ist eine Befürchtung. Furcht vor Tod. Vor Tod von Patienten.« Mir schnürt es das Herz ab, er hat recht. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, meine eigene Praxis zu haben, und mir war klar, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn jemand in meiner Obhut starb.
    Schließlich sage ich: »Ich sehe mich nicht als Inhaber einer Praxis, Dr. Chow, aber durchaus als jemanden, der über Chi Gong schreibt und spricht. Ich werde auch anderes tun. Ich kann nicht nur eine Sache machen.«

    Er lacht in verständnisvoller Sympathie.
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