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Gegner des Systems

Gegner des Systems

Titel: Gegner des Systems
Autoren: William Jon Watkins
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gut auf sie aufgepaßt, wenn man seinen Geisteszustand bedachte. Eigentlich drückte er sie nicht, sondern hielt sie nur sehr fest.
    Im ersten Stock schüttelte Brendan den Kopf, als er den Riß in den Platten des Gemeinschaftsraumes beobachtete, der sich von dem Loch der Explosion aus fast um ein Drittel der Wölbung zog. Von der zackigen Öffnung im zweiten Stock aus breitete sich ein zweiter Riß aus, und zwar in beiden Richtungen. Die Wendeltreppe im dritten Stock begann, sich in sich selbst zu verdrehen und sich von den Nieten zu lösen, die sie an der Säule festhielten. Im obersten Stock kauerten noch immer einige Menschen in den Kisten. Sie weinten entweder haltlos vor sich hin oder waren katatonisch. Die durchsichtige Kuppel wurde von Starks Hand nach innen gedrückt. Die Verstrebungen dort verzogen sich bereits. Alles schien auf eine plötzliche Implosion hinzuarbeiten, in der die Kuppel zerknittern und zusammenbrechen würde.
    Welsh bewegte sich vorsichtig. Eine plötzliche Bewegung könnte Stark dazu bringen, die Kuppel zu fest zu umklammern oder mit dem Amorphus wie ein Bleigewicht in der Hand nach ihm zu schlagen. Er erwog die Möglichkeit, Starks Arm zu lähmen. Ein Scharfer Schlag auf die Innenseite des Ellenbogens würde ihn zeitweise schwächen, aber dann konnte es passieren, daß sich die Faust kurz verkrampfte, bevor sie aufging, und einen solchen Druck würde der Amorphus nicht aushalten. Wenn er Starks Handgelenk ergriff, dann würde das auch nichts nützen, denn der leiseste zusätzliche Druck würde den Amorphus implodieren lassen.
    Welsh wußte zwar jetzt, was er zu tun hatte, aber einem Teil von ihm war dies peinlich. Er fragte sich jetzt, inwieweit seine Verlegenheit dafür verantwortlich war, daß er das Offensichtliche nicht gesehen hatte, als es ihm auf dem dritten Stockwerk direkt vor Augen gestanden hatte. Die Heilungsmethode schien so verrückt zu sein, die Prozedur so lächerlich, daß er einen Augenblick zögerte, obwohl er sicher war, daß sie wirken würde. Es war die schnellste Art, alle Verteidigungsbarrieren zu zerbrechen, und die Bewegungen, die die Patienten und Stark vollzogen, sagten deutlich, daß dies der einzige Weg war.
    Stark stand dort, drückte sich gegen die Wand und zuckte in einem Halb-Tanz wie eine Marionette am Seil. Welsh sah in Starks wilde Augen, schaute aber dann schnell zur Seite und drehte abrupt den Kopf herum, als hätte jemand von rechts gerade seinen Namen gerufen. Automatisch folgte Stark seinem Blick, und als er es tat, war Welshs Augenblick gekommen. Er hielt eine Hand unter Stark, um den herunterfallenden Ball aufzufangen, und mit der anderen langte er nach Starks Rippen und fing an, ihn zu kitzeln.
    Das war ein sehr festes Tabu, was er hier durchbrechen mußte. Welsh stellte peinlich berührt fest, daß seine Menschlichkeit noch so sehr von seiner Kultur beherrscht wurde, daß ihn das verlegen machte.
    Stark schüttelte sich einen Augenblick und brach dann explosionsartig in Gelächter aus. Das war ein Effekt, den sie später noch bei allen Patienten des dritten Stocks beobachten würden: die Überempfindlichkeit, das explosive Gelächter und der Zusammenbruch aller Reserven, die vorher den Körper verkrampft hatten. Das Gewieher wurde stärker, erreichte seinen Gipfel und wurde zu einem tiefen Schluchzen, um dann auf der Skala der Gefühle nach unten zu gleiten und sich in ein stilles, heilendes Weinen zu verwandeln. Das würde einmal das klassische Muster werden, aber Welsh erschien es noch seltsam. Oft fragte er sich später, was es wohl mit der menschlichen Natur auf sich hatte, daß es ihm leichter gefallen wäre, Stark zu schlagen, als ihn zu kitzeln.
    Er war tatsächlich sehr besorgt gewesen, daß Stark nicht kitzlig wäre, sondern mit der Hand gegen die Wand schlagen und das Leben, das er darin hielt, zerstören würde. Aber Stark hatte losgelacht wie ein kleines Kind. All die Stunden der Angst und des Versteckens, die er in seinen depressiven Perioden verbracht hatte, waren mit einemmal aus ihm herausgebrochen, und sie traten mit einem riesigen Gelächter an die Welt. Der Ball fiel leicht in Welshs Hand.
    Stark glitt lachend an der Wand herab. Welsh seufzte erleichtert auf und sah zu, wie Stark hilflos zusammenbrach. Er hatte die Zeitbombe ausgelöst, die in dem Mann getickt hatte, und ihre Explosion war sowohl fröhlicher wie auch trauriger Art. Da Stark nun einmal lachen konnte, konnte er auch weinen. Die Tränen über den Tod seines
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