Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
nicht verlauten lassen, die Spitze von Octavias Neglige wäre eingerissen gewesen und sie hätte sich angeboten, den Schaden zu reparieren, da Octavia kein Geschick für feine Handarbeiten besaß? Was nichts anderes bedeutete, als daß sie es zum Zeitpunkt ihres Todes nicht getragen hatte! Doch das wußte niemand außer Beatrice - und ihr hatte man, aus Rücksicht auf ihren bedenklichen Zustand, das blutbesudelte Kleidungsstück nicht gezeigt. Araminta hatte es als dasjenige identifiziert, das Octavia an jenem Abend trug - zu Recht, denn zumindest auf der Galerie hatte sie es noch angehabt. Anschließend war sie ins Zimmer ihrer Mutter gegangen, um ihr gute Nacht zu sagen, und hatte es dort gelassen.
    Auch Roses Bestätigung war aus dem gleichen Grund irreführend. Sie wußte lediglich, daß es Octavia gehört, nicht wann sie es getragen hatte.
    Oder doch? Sie mußte wenigstens wissen, wann es zuletzt gewaschen worden war. Immerhin war es ihre Aufgabe, Kleidungsstücke zu waschen und zu bügeln, sowie sie im Bedarfsfall zu flicken. Wie hatte sie versäumen können, die Spitze wieder in Ordnung zu bringen? Eine Wäschemagd sollte aufmerksamer sein.
    Sie mußte Rose gleich nach dem Aufstehen danach fragen. Damit war Hester schlagartig in die Gegenwart zurückversetzt. Ihr wurde plötzlich klar, daß sie im Nachthemd in Sir Basil Moidores Arbeitszimmer stand, an der Stelle, wo Octavia sich in ihrer Verzweiflung getötet haben mußte, mit dem Messer, das sie soeben in der Hand hielt. Falls man sie jetzt hier vorfinden würde, hätte sie nicht die geringste Entschuldigung - und wenn sie derjenige entdeckte, der auch Octavias Leiche entdeckt hatte, wüßte er sofort Bescheid.
    Die Kerze war heruntergebrannt, der Kerzenständer füllte sich langsam mit geschmolzenem Wachs. Sie brachte den Brieföffner in seine ursprüngliche Position zurück, nahm die Kerze, ging so schnell wie möglich zur Tür und machte sie fast lautlos auf. Die Halle war in undurchdringliches Dunkel gehüllt; nur durch das Fenster, das zur Vorderseite des Hauses hinausging und den Blick auf die tanzenden Schneeflocken freigab, drang schwaches Licht. Sie schlich auf Zehenspitzen wieder in ihr Zimmer, blies das klägliche Flämmchen aus und schlüpfte zwischen die kalten Laken. Sie fror und zitterte vor Anspannung am ganzen Körper, hatte eine dünne Schicht Angstschweiß auf der Haut und im Magen ein flaues Gefühl.
    Am nächsten Morgen bedurfte es ihrer ganzen Selbstbeherrschung, sich erst um Beatrices Wohlergehen und Frühstück zu kümmern, dann um Septimus'. Besonders bei ihm mußte sie aufpassen, nicht hektisch oder nachlässig zu erscheinen. Schließlich war es fast zehn, als sie endlich dazu kam, Rose in der Waschküche abzufangen.
    »Rose«, rief sie leise, um Lizzie nicht aufzuscheuchen.
    »Was wollen Sie?« Rose war furchtbar blaß. Ihr Teint hatte den zarten Porzellanschimmer verloren, die Augen waren sehr dunkel, fast hohl. Percivals Tod hatte sie schwer getroffen. Vielleicht plagte sie ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Zeugenaussage und der kleinen boshaften Bemerkungen, der zarten Winke vor seiner Verhaftung, die Monk auf die richtige Fährte gebracht hatten.
    »Rose«, wiederholte Hester, diesmal eindringlicher, um Roses Aufmerksamkeit von Dinahs Schürze abzulenken, die sie mit dem Plätteisen bearbeitete. »Es geht um Miss Octavia.«
    »Was ist mit ihr?« fragte Rose gleichgültig. Ihre Hand glitt mechanisch vor und zurück, ihr Blick klebte an der Schürze.
    »Sie haben sich doch um ihre Kleidung gekümmert, nicht wahr? Oder war das Lizzie?«
    »Nein.« Rose sah sie immer noch nicht an. »Lizzie kümmert sich um Lady Moidores und Miss Aramintas, manchmal auch um Mr. Cyprians. Ich hab Miss Octavias gemacht und bin für die Wäsche der Herren zuständig. Die Schürzen und Hauben der Dienstmädchen teilen wir untereinander auf, wie's gerade kommt. Wieso? Was spielt das noch für eine Rolle?«
    »Wann haben Sie Miss Octavias Neglige mit den Lilien zum letztenmal gewaschen - vor ihrem Tod?«
    Rose legte das Plätteisen endlich aus der Hand und schaute Hester stirnrunzelnd an. Sie dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete.
    »Ich hab's an dem Morgen des Vortages gebügelt und gegen Mittag zu ihr raufgebracht. Sie hat's in der Nacht dann getragen, nehme ich an.« Sie holte tief Luft. »Und wie ich gehört hab, in der nächsten auch. Sie wurde doch darin ermordet.«
    »War es beschädigt?«
    Roses Gesicht wurde hart. »Natürlich nicht.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher